Neuer alter Brauch kam bei der Kerb hervorragend an
Dietzenbach (lad) — Heute, Dienstagabend, kurz nach 20 Uhr, wird die Kerbbobb vom bunten Kerbbaum vor der Licher Pilsstube in der Frankfurter Straße heruntergeholt und feierlich verbrannt. Die Kerb 1978 ist damit beendet.
Sie brachte etwas ganz Neues oder vielmehr die Wiedererweckung eines uralten Brauches: Erstmalig übernahmen wieder „Kerbborschen“ das Regiment. Sie hatten am Freitagnachmittag den stattlichen Baum aus dem Wald geholt, bunt geschmückt mit Bändern und Luftballons und den „Borsch“ mit Stroh ausgestopft und alten Kleidungsstücken“ angezogen, bevor sie ihn auf einen Stuhl hoch am Baume postierten.
Für alle diese Mühen – und als Stärkung wohl für die noch vor ihnen liegenden Strapazen – servierte „Kerbvadder“ Horst Buch den Kerbborschen 78 eine kräftige Erbsensuppe. Rainer Wagner hielt die Kerbrede. Er hatte Kerbrede und Kerblied aus den Händen des letzten aktiven Kerbborschen-Jahrgangs‚ der 1947 die letzte „richtige“ Kerb feierte, erhalten und aktualisiert.
Unter dem Ansturm der „Moderne“ war in der Zwischenzeit der alte Brauch eingeschlafen gewesen, 1974 hatten einige Dietzenbacher – allen voran Willi Schreiber, Jakob Klößmann, Werner Dutine und vor allem auch der kürzlich so tragisch verunglückte Heinz Eberhardt – die Sitte wieder versucht aufleben lassen, doch ihnen, die sich selbst mit leiser Selbstironie als „Kerbopas“ bezeichnen, gelang es nicht, die alte Kerbburschenseligkeit wieder so richtig populär zu machen.
Der neue alte Brauch, die Kerb von Kerbborsche regieren zu lassen, kam hervorragend an. Beim neuen SG-Fanfarenzug, dem Ildt-Club und den Schoppe-Rangers fand man begeisterte Mitstreiter. Foto: Latzke
Der neuerliche Versuch stand dagegen von Anfang an unter gutem Vorzeichen: in dem noch jungen wiedergegründeten SG-Fanfarenzug fand sich ein aktiver Verbündeter. Die „Kerbborschen“ – alles Mitglieder des Ildt-Clubs, eines Geselligkeitsvereins und
„Schoppefußballer“, zumeist vom Jahrgang 55 — und die Spielmannsleute fanden sich am Sonntagmorgen zum ersten „Weckruf“ nach dreißig Jahren zusammen. Beim Zug durch die morgendlichen Straßen – von Gasthaus zu Gasthaus sich bewegend – machte die Bevölkerung spontan mit. „Das haben wir in Dietzenbach noch nicht erlebt“ war zu hören als gar auf der Straße gesungen und getanzt wurde.
Das beeindruckendste Erlebnis aber fand in der Wilhelm-Leuschner-Straße statt: Jakob Wolf, der letzte amtierende Stabführer des ehemaligen Spielmannszuges, überreichte spontan Albert Meissner, dem Stabsführer des neuen SG-Spielmannszuges‚ seinen Dirigentenstab‚ den er über 25 Jahre gehütet hatte. Der Bitte, noch einmal selbst in Aktion zu treten, kam Jakob Wolf nach und dirigierte unter großem Beifall „Die kleine Garde“.
Der SG-Fanfarenzug will auch im kommenden Jahr den Kerbborschen Hilfestellung leisten. Nach dem Erfolg dieses Jahres hofft man, daß nun im nächsten Jahr der „richtige“ Jahrgang sich als Kerbborschen zur Verfügung stellt.
Quelle: Offenbach Post 31.10.1978