Fünf Pfennig Kerbgeld (28.10.2016)

Der Jahrgang 1925/26 erinnert sich
Von Carolin Henneberg

DIETZENBACH – Sie treffen sich einmal im Monat zur gemütlichen Kaffeerunde, die Klassenkameraden des Jahrgangs 1925/26. Dabei plaudern sie sowohl über aktuelle Themen in der Stadt als auch über vergangene Zeiten. „Man kann ja fast schon wieder Handschuhe anziehen, so kalt ist es“, sagt Lotti Melius. Ihre Freundinnen nicken, stimmen ihr zu. Dieses Mal sind sie nur zu fünft, Frauen unter sich. Der männliche Part der Gruppe, Karl Schrodt, setzt heute aus. „Zur Kerb war’s aber immer schon eisig kalt“, sagt Magret Jünger. „Damals, als ich ein kleines Mädchen war, hab ich mein Kerbgeld immer ganz fest in der Hand warmgehalten“, erinnert sich die 90-jährige.
Damals, das war in der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg, bevor Adolf Hitler an die Macht kam und sie 1933 dem Bund Deutscher Mädel beitreten mussten. Die Kirchweih war ein Jahreshöhepunkt im gesellschaftlichen Leben Dietzenbachs. „Es gab ja sonst nicht Viel“, sagt Jünger. Vielleicht noch der Maitanz, aber sonst habe es nicht viele Gelegenheiten gegeben, auszugehen und mal zu tanzen.
Für viele der Mädchen gab es extra ein neues Kleid, Schuhe und einen Mantel für das Ereignis. „Wir haben im Herbst Kartoffeln ausgemacht und die dann in der Stadt verkauft“, erzählt Alma Beese. „Vom Kartoffelgeld gab’s dann ein neues Kerbkleid.“ Es sei schließlich wichtig gewesen, wie man sich gezeigt hat. Die Familie von Magret Jünger war da schon etwas sparsamer: „Bei uns gab’s nur alle drei Jahre was Neues. Ein Jahr war’s zu groß, eins hat’s gepasst, eins war’s recht klein“, erzählt sie lachend. Auch in Sachen Kerbgeld gab es große Unterschiede. Während sich die meisten mit fünf oder vielleicht auch mal zehn Pfennig zufrieden geben mussten, hatte Katharina Wolf ganze 50 Pfennig zum Ausgehen: „Alle haben was beigesteuert“, erzählt die 88-jährige, die durch ihren verstorbenen Mann zur jahrgangsgruppe dazugestoßen ist. Einige der Fahrgeschäfte und Buden sind auch heute noch auf dem Kerbplatz vertreten. Natürlich gab es früher keinen Autoscooter, die Schiffschaukel war aber schon damals ein Kindermagnet. Für eine Fahrt verlangten die Betreiber fünf Pfennig, viel blieb da vom eingesammelten Geld nicht mehr übrig. Was aber nie fehlen durfte: ein Nippon vom Süßigkeitenstand‚ „die hab‘ ich sehr geliebt“, sagt Jünger.
Damals genau wie heute durften natürlich auch die Kerbborschen nicht fehlen, die Lieder trällernd und mit einem Ziehwagen durch die Gassen liefen. „Essen und Trinken haben sie eingesammelt,

20161028offenbachpost_001Die Kerb ist aufgebaut, Buden und Fahrgeschäfte warten ab 14 Uhr auf Besucher. Rechts: Magret Jünger (links) und Lotti Melius vom Schuljahrgang 1925/26 schwelgen in Erinnerungen an die Kirchweih von damals. – Fotos: ch/sd
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um sich dann alles in fröhlicher Runde schmecken zu lassen“, erzählt Jünger. „Wichtig war auch der Kuchen“, wirft Beese ein. „Unseren Streuselkuchen haben wir damals bis nach Heusenstamm gebracht.“
Als dann aber ab 1939 der Zweite Weltkrieg tobte, kam das gesellschaftliche Leben im Dorf fast vollständig zum Erliegen. An Kerb mit Tanz, Gesang und Feierei war nicht zu denken. Erst ab 1946 sei der Kerbtanz wieder aufgenommen worden, erzählt Wolf, die sich den Feierlichkeiten dann auch wieder angeschlossen hat. Vier größere Tanzlokale habe es damals in Dietzenbach gegeben: die Harmonie, den Löwen, die Linde und den Milchhof. Eng verbunden mit den Gaststätten waren auch die beliebten Sängervereine. So hatte Germania-Frohsinn sein Domizil im „Neuen Löwen“, der Sängerkranz war in der Linde anzutreffen. „Man war sehr vereinsgebunden“, weiß Wolf, „es gab Konkurrenz zwischen den beiden“.
Heute gehen die Frauen nicht mehr über den Kerbplatz, „die Enkel sind schon zu groß, die Kerb ist auch viel kleiner als früher“, sagt Jünger. Wenn sie geht, dann um sich was Kleines an der Bude mit den Süßigkeiten zu holen. Vielleicht gibt’s ja auch irgendwo ein Nippon.

Kerbborschen Steckbrief

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Quelle: Offenbach Post 31.10.2016