Zum 227. Mal Kerb gefeiert (3.11.1981)

Die Tradition der „Kerbborsche“ lebte wieder auf

Dietzenbach (gs) — „Wieder einmal ist’s so weit — zur Kerb wir treffe uns, ihr Leit!“ — Mit dieser traditionellen Einleitung der Kerbrede eröffnete der „Parre“ (Kerbpfarrer) am Freitagabend bei Kerbvadder Buch nachdem Aufrichten des Kerbbaumes in der Frankfurter Straße das diesjĂ€hrige Dietzenbacher Kirchweihfest. Es ist die 227. Kirchweih‚ und vor zwei Jahren lebte in Dietzenbach die alte Tradition der Kerbburschen wieder auf, die nach dem Krieg weitgehend in Vergessenheit geraten war.

Jakob Keim aus der Bahnhofstraße, einer der wenigen echten Dietzenbacher, die es noch gibt, berichtete uns, wie die Kerb frĂŒher gefeiert wurde. Schon Wochen vorher wurde ĂŒber die Kerb gesprochen und alles hergerichtet. Acht Tage vorher wurde der Kerbochs im Ort herumgefĂŒhrt. Freitags vor der Kerb ging in den HĂ€usern das Kuchenbacken los, vom Hausboden kam der Backtrog herunter und die Mutter hat dann feste „eingeschmiert“ und gebacken. Am Samstagabend wurde der Baum geputzt und der Kerbkranz mit Selleriekraut gewickelt.
Mit Gesang wurde dann dieser Kerbkranz durch den Ort getragen, Sonntagnachmittag war Kerbumzug. Mit Musik, Baum und Kranz ging es durch die Ortsstraßen zum Vereinslokal, dort wurde die Kerbrede gehalten. Dabei wurde alles, was das Jahr ĂŒber passiert war. durch den Kakao gezogen und nach jedem Satz kam der Spruch: „Kamerad schenk ein, es muß einmal getrunken sein“. Den Bauern rief der Kerbbursch zu: „Laßt euch nicht geliste‚ eure Magd vor Dienstag in den Stall zu schicke um zu miste. Und ihr Musikanten spielt recht laut. Ebert, laß den Baß recht brumme, daß sie alle auf unsere Kerb komme.“ Nachdem der Kerbbaum dann aufgestellt war, begann der Tanz. Sieben TanzsĂ€le gab es damals in Dietzenbach und alle waren voll bis auf den letzten Platz.
Vor zwei Jahren nun hat der Ildt-Club – eine Dietzenbacher „Schoppen-Fußballmannschaft“ – diese alte Tradition wieder aufleben lassen, und die jungen Burschen wurden dabei von den alten Dietzenbachern krĂ€ftig unterstĂŒtzt. Die Begeisterung, mit der auch der diesjĂ€hrige Kerbburschen-Jahrgang an diese selbstgestellte Aufgabe heranging, ist zu bewundern. Denn diese vier „tollen Tage“ sind fĂŒr die Kerbburschen gewiß kein Zuckerschlecken. Erstmals in diesem Jahr zog auch ein MĂ€dchen mit den 13 Burschen als „Kerbjungfrau“ durch die Dietznbacher Lokale. Nur am Bau der Kerbbopp – die Puppe, die auf dem Kerbbaum befestigt, wachsam von den Burschen gegen Diebstahl durch rivalisierende Gruppen geschĂŒtzt wird – war Kerbjungfrau Christine Schmidt nicht beteiligt. Denn nach der alten Überlieferung darf die Bopp nicht von Frauenhand berĂŒhrt weren.
Am Samstagnachmittag war Aufbruch der Burschen zur „Kneipkur“. Abends hatte die Turngemeinde zum traditionellen Kerbtanz auf den Wingertsberg geladen. Mit gekonnter musikalischer UnterstĂŒtzung der „Bellflowers“, die fast schon „Hauskapelle“ auf den Wingertsberg geworden sind, schmetterten auch hier die Kerbburschen ihre – zum Teil recht deftigen – Lieder in das Publikum. Bis in die frĂŒhen Morgenstunden wurde auf dem Wingertsberg „geschwooft“ und es blieb den Burschen dann nicht mehr allzuviel Zeit, sich fĂŒr den traditionellen sonntĂ€glichen Weckruf fertigzumachen. Weil die bisherige Erfahrung lehrte, daß der Weckruf durch die Dietzenbacher Straßen nicht mehr von den Kerbburschen allein bewĂ€ltigt werden kann, da sich inzwischen fast alle Stimmen der Burschen durch Alkohol und Gesang „stillschweigend verabschiedet“ haben, ist es der Dietzenbacher Fanfaren- und Spielmannszug, der dabei fĂŒr die nötige LautstĂ€rke sorgt.
In SchlafgewĂ€ndern und NachtmĂŒtzen wird dieser Umzug (und Umtrunk) durch. die Stadt „zelebriert“ Am Schluß dieses „Schlafwandlerzuges“ marschieren die Kerbburschen und verkaufen ihren „Riwwelkuchen“ (Streuselkuchen) und bessern damit ihre Kerb-
kasse etwas auf. Ein ganzer Handwagen voller Kuchen wird auf diese Weise unters Volk gebracht.
Am Montagmorgen nahm das Kirchweihtreiben seinen Fortgang: Zum traditionellen FrĂŒhstĂŒckholen durch die Dietzenbacher GeschĂ€fte trafen sich die Kerbburschen, und dieses FrĂŒhstĂŒck wurde dann anschließend beim FrĂŒhschoppen beim Kerbvadder Buch gefeiert. Und auch der Dietzenbacher Gesangverein „SĂ€ngerkranz“ traf sich im alten Traditionslokal „Zur Linde“ zum KerbfrĂŒhschoppen. Zum Kerb-DĂ€mmerschoppen kamen am Dienstagabend die Senioren im Reinhard-Göpfert-Haus zusammen. Bei Hering oder Hausmacher Wurst bot auch hier der „SĂ€ngerkranz“ die musikalische Untermalung und anschließend spielte die Dietzenbacher Rentnerband zum Tanz auf. Auch die Senioren hatten wieder eine Kerbbopp gebastelt und sie wurde nach Einbruch der Dunkelheit — unter Assistenz der Kerbburschen — feierlich verbrannt.
Auch im evangelischen Gemeindehaus an der Kirche – dem eigentlichen Ursprung dieses Kirchweihfestes – war die Gemeinde zum traditionellen Kerbschoppen versammelt. Den endgĂŒltigen Ausklang der Kerb veranstalteten die Kerbburschen mit dem Verbrennen ihrer Kerbbopp am Dienstagabend am Trinkborn. Mit einer „unheimlich traurigen“ Grabrede und unglaublich viel Apfelwein unter großer Anteilnahme der Bevölkerung wurde damit die diesjĂ€hrige Kerb zu Grabe getragen.

 

19811103_offenbachpost_1_001Kerbzentrale – mit Kerbbaum und der Kerbbopp vor der TĂŒr – war auch in diesem Jahr wieder die „Licher Pilsstube“ von Kerbvadder Buch in der Frankfurter Straße.
Foto: Giesa

Quelle: Offenbach Post 3.11.1981 (Sammlung Karl Heinz Kunz)