Müden Lebensgeistern ein Schnippchen schlagen
Trauriges Ereignis überschatet den Weckruf der Kerbborsche: Der Luschekopp wurde von gierigen Vorgängern entführt
Dietzenbach (mat) * Sonntag früh 9 Uhr bei der Gärtnerei Hartmann. Eine Meute Jugendlicher rollet sich zusammen, Fahnen, laute Musik, die immer wieder von tief ins Gehör grabenden, einheizen- den Rufen unterbrochen wird. Eine Barriere sperrt die Autos aus. Mittendrin im Getümmel eine öffentliche Institution – das Ordnungsamt, das diese hoheitlichen Sicherheitsmaßnahmen erforderlich heißt. „Dietzenbach, ach, Du heißes Pflaster“. möchte mancher seufzen. Doch in dieser Hinsicht weit gefehlt. Anlass für dieses dem ersten Augenschein nach kuriose Treiben ist der nunmehr nach neuer Zeitrechnung zum vierten Mal stattfindende Weckruf der Kerbborsche. Mit vollem Einsatz. nicht nur ihrer Stimmbänder machen sie an diesem kühlen Sonntagmorgen nach durchwachter Nacht auf sich aufmerksam und schaffen es, ihren eigentlich müden Lebensgeistern durch die frische Luft und die volle Dröhnung aus den Lautsprecherboxen ein Schnippchen zu schlagen. Sehr gut bei Laune setzt sich derfröhlich-feiernde Tross langsam aber unaufhaltsam in Bewegung, um auch ja möglichst viele Winkel, Straßen und Gässchen Dietzenbachs mit Tamtam, Posaunen und Fanfaren zu beglücken. Ein edles, schwarzes Zugpferd mit reichlich Kraft unter der bulligen Motorhaube zieht eine eher kärgliche Droschke, auf dem die gesamte Musikanlage thront und heftig vibriert, so als wollte sie gleich mittanzen. Der darin sorgsam aufbewahrte so genannte Kerbkuchen zeigt sich von alledem ziemlich unbeeindruckt und wirft sein leckeres Gewand – reichlich Butterstreusel – zur Freude der großen Anzahl an Abnehmern nicht ab. „Die Kerbborsche laufen durch den Ort, sie verkaufen Kuchen – der muss fort“. reimt Schläächtschwätzer Seppel Lehr, der sich an den Kopf des Zugs mit seiner Schelle in der Hand gestellt
hat. Immer wieder kommen Anwohner aus ihren Häusern, um die Burschen aur ihrer Mission zur kollektiven Heiterkeit durch das Abkaufen der leckeren Happen zu unterstützen. Bei all der maßlosen Fröhlichkeit hätte man doch aber glatt ein trauriges Ereignis vergessen können: die Entführung Luschekopps in den frühen Morgenstunden durch den Kerbborsche-Jahrgang 2005. Jedoch soll er wieder pünktlich zu Grabrede und Abgesang auf die Kerb am Dienstag auferstehen, obgleich er dann dazu ver dammt ist, das Zeitliche zu segnen. Ein trauriges Schicksal für eine Puppe, die fünf Tage lang die Aufmerksamkeit ganz Dietzenbachs auf sich zog. Doch damit ihn dieses Ende überhaupt ereilen darf, befinden sich die diesjährigen Burschen in zähen Verhandlungen rnit den Entführern über Höhe und Art der Auslöse. Angesichts der anstrengenden Tage auf der Kerb dürfte dies kein Zuckerschlenken werden.
Tapfer: Die Kerbborsche ließen sich bei ihrem gestrigen Weckruf nichts anmerken. In den frühen Morgenstunden war ihre Kerbbobb Luschekopp entführt woren. Die Lösegeldverhandlungen laufen. Foto. Towae
Quelle: Offenbach Post 29.10.2007