Dietzenbacher Kerb

Dietzenbacher Kerb

von Heinrich WeilmĂŒnster, Lina WeilmĂŒnster, Margret Beck

Die Dietzenbacher Kirchweih (Kerb) war frĂŒher der Höhepunkt des Jahres. Es war die Zeit, zu der die Ernte schon eingefahren war und mitunter die letzten Kartoffel ausgemacht wurden. Die Bauern bestellten bereits die ersten Felder fĂŒr die FrĂŒhjahrssaat.
In diesen Tagen waren die Vorbereitungen fĂŒr die Kerb in vollem Gange. Der Kerbputz stand in fast allen Familien im Vordergrund. Gardinen wurden gewaschen und gestĂ€rkt, Wohnungen wurden geputzt und gescheuert. Auf das Kerb- bzw. Tanzkleid freuten sich die jungen MĂ€dchen schon das ganze Jahr. Dann war es soweit: Ende Oktober, manchmal auch am ersten Sonntag im November, stand Dietzenbach ganz im Zeichen der Kerb. Damenfrisösen legten in den letzten Tagen oft Nachtschichten ein, um den Frauen und MĂ€dchen die Haare zu ondulieren. Einige Tage vor der Kerb spazierten die Metzgermeister mit einem geschmĂŒckten Ochsen durch das Dorf; dieser Kerbochs war Garant dafĂŒr, daß es auf der Dietzenbacher Kerb einen saftigen und krĂ€ftigen Braten gab.
Wichtig war auch das Kuchenbacken. Die meisten Familien rĂŒhrten in ihren Backtrog 15 bis 20 Pfund Mehl ein. Bei vielen Familien kam der BĂ€cker persönlich ins Haus, um den Hefeteig zu machen, denn dieses große Quantum schafften die meisten Hausfrauen nicht.

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Die Kerbburschen der Freien Turner Dietzenbachs 1926

Dann wurden Streuselkuchen (auf Dietzebacherisch Riwwelkouche), Apfel- (Äppelkouche) und Quarkkuchen (KĂ€skouche) gebacken. Meistens fing die BĂ€ckerei schon Freitag nachts an und in den frĂŒhen Morgenstunden des Kerbsamstags duftete es in allen Straßen und Gassen nach frischem Kuchen. Auch heute gibt es noch viele, meist Dietzenbacher, Frauen, die diese Tradition weiterfĂŒhren. Doch muß heute keine Kerb sein, um Kuchen zu backen.
Am Samstag wurde die Kerb meistens angetrunken. Das bedeutete, daß die jungen Leute schon Samstags in die Lokale gingen, um dort die Geselligkeit zu pflegen. Auf dem Kerbplatz waren die Vorbereitungen fĂŒr den großen Rummel bereits beendet. Karuselle, Schießbuden, SĂŒĂŸwarenstĂ€nde, WĂŒrstchenbuden und FischverkĂ€ufer warteten auf die Besucher.
Am Sonntag ging es dann richtig los. Fast jedes Lokal hatte seine eigenen Kerbburschen. Nach dem Umzug haben diese den Kerbbaum vor der Gastwirtschaft aufgesteckt. Mit einer passenden Kerbrede wurde alles glossiert, was im Laufe eines Jahres in Dietzenbach passiert war. Zum Schluß wurde mit einem Glas Wein oder Apfelwein auf die Kerb angestoßen und einer dieser SprĂŒche klingt vielen Dietzenbachern noch heute in den Ohren: „Wenn dieses GlĂ€schen nicht zerbricht, dann feiern wir unsre Kirchweih nicht.“ Das gibt es wohl nie, daß ein Glas aus 5 m Höhe geworfen nicht zerbricht.

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Kerbburschen der Freien Turner Dietzenbachs im Jahr 1927

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Kerbburschen des Gasthauses „Zur Harmonie” 1927, Arbeiter-Radfahrverein

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Kerbburschen vom Wingertsberg im Jahre 1946 mit TanzbĂ€r und BĂ€renfĂŒhrer

Nach dem Anbringen des Kerbbaumes spielte die Musik zum Tanz auf. Auch die Ă€ltere Generation kam auf ihre Kosten. in den GasthĂ€usern spielten Stimmungskapellen und Zauberer fĂŒhrten ihre KunststĂŒcke vor. Auch die Bedienung hatte alle HĂ€nde voll zu tun: es wurde nicht nur getrunken, bei Rippchen und Kraut schmeckte das Bier nochmal so gut. Viele junge Leute tanzten und feierten die Nacht durch, denn der Kerbmontag war so gut wie ein Feiertag. Da ging es nochmals genauso rund.
Die Kerbburschen zogen am frĂŒhen Morgen mit Musik und Gesang durch die Straßen und wurden meistens mit Spenden entlohnt. Am folgenden Dienstag wurde in aller Form die Kerb zu Grabe getragen. Man weiß heute noch nicht, was in dem hellen WĂ€schekorb lag, ĂŒberdeckt mit einem weißen Leintuch. Wenn man als Kind fragte, was da drinnen sei, so lautete die Antwort: „Die Kerb! Die wird heute beerdigt, aber nĂ€chste Jahr kommt sie wieder.“ Es kamen auch viele junge Burschen von außerhalb, die die Dietzenbacher Kerb besuchten und manch schönes MĂ€dchen kennen und lieben lernten, um dann nie mehr von hier wegzugehen. Ein bekanntes Sprichwort sagt: „Wer einmal Dietzenbacher Wasser trank, geht nie mehr aus Dietzenbach fort.“

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Mit einem lachenden und einem weinenden Auge wurde am Kerbdienstag die Kerb begraben. Der „Seelsorger” auf dem Bild ist Kurt Hottes. Hinter dem Kreuz ist der Sarg zu sehen. Die Trauergemeinde ist zahlreich erschienen

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Ein TĂ€nzchen mit dem BĂ€ren am Kerbmontag


Quelle: Aus eigener Kraft – BeitrĂ€ge zur Geschichte der Arbeiter-, Sport- und Kulturbewegung in Dietzenbach von Heinrich WeilmĂŒnster, Lina WeilmĂŒnster, Margret Beck