So feierten unsere Großeltern die Kerb (17.9.1970)


Heinrich Berz erinnert sich an frühere Zeiten in Dietzenbach

So feierten unsere Großeltern die Kerb

 

Das Ereignis der feierlichen Einweihung unsere Kirche wird in Dietzenbach alljährlich am letzten Sonntag im Oktober mit dem Fest der „Kirchweihe“, der Kerb, gefeiert. Der vorsitzende des Heimat- und Verschönerungsvereins, Heinrich Berz, hat der Stadt-Post aus diesem Anlaß allerlei von der Kerb und wie sie in früheren Zeiten gefeiert wurde, erzählt:

Die Dietzenbacher Kerb ist eine der letzten im Kreis Offenbach, nur Dudenhofen folgt noch vierzehn Tage später. Das war immer ein sehr günstiger Termin, denn bis zu dieser Zeit war die Ernte unter Dach und Fach und man konnte die Kerb gleich als Erntedankfest mitfeiern. Bargeld, im Leben der Bauern und der kleinen Handwerker, die von diesen Bauern lebten, bekanntlich immer knapp, war nach der Ernte vorhanden.
Bis zum Ersten Weltkrieg, so weit reichen die persönlichen Erinnerungen von Heinrich Berz zurück, war Dietzenbach noch vorwiegend ländlich. Zwar gingen bereits sehr viele Männer nach Frankfurt oder Offenbach, um dort Bauhandwerk oder in der Industrie zu arbeiten, doch die Frauen und Kinder bestellten derweilen noch die Äcker und versorgten das Vieh. Die Kinder mußten sogar tüchtig ran dazumal und wenn sei beim Obstlesen oder Kartoffel ausmachen ermüdeten, wurden sie oft getröstet: „Wenn ihr fleißig seid, dürft ihr an Kerb auch Karussell fahren.“
Ein anständiges Kerbgeld oder den Älteren auch der neue Anzug, die neuen Stiefel oder den Mädchen ein neues Kleid zur Kerb, wurde versprochen. Die jungen Burschen und Mädchen, aber auch mancher schon Ältere, freuten sich vor allem auf das Tanzvergnügen. Tanzmusik gab es eigentlich nur am zweiten Weihnachtstag, an Pfingsten oder alle Schaltjahre mal auf einem Fest.
So freute sich jung und alt schon wochenlang auf die Kerb und wochenlang wurden bereits Vorbereitungen getroffen. Mitte Oktober, wenn die Ernte eingebracht und Äpfel und Kartoffeln gut verkauft waren, begann in Dietzenbach du große Reinemachen. Das ganze Haus wurde vom Boden bis zum Keller auf den Kopf gestellt, die Handwerker hatten alle Hände voll zu tun, weil sogar Dächer erneuert oder das Haus frisch gestrichen wurde. Die Stube erhielt eine neues Wandmuster, auf den Tisch wurde ein neues Wachstuch aufgelegt, zerbrochene Scheiben wurden eingezogen. Wo Töchter im Haus waren, kam die Schneiderin, um die Kerbkleider anzufertigen.
In der Woche vor der Kerb schlug dann die große Stunde der Metzger und Bäcker. Am Montagnachmittag führte jeder Metzgermeister seinen Kerbochsen, mit einem Kranz um den Hals geschmückt, begleitet von einer Kinderschar durch das Dorf. Am folgenden Tag schickte er einen Angehörigen in die Häuser und nahm Bestellungen auf Suppenfleisch, Braten und Wurst auf, die dann am Samstag fein säuberlich mit einem Leinentuch zugedeckt ins Haus gebracht wurden.
Die Hausfrauen kauften zwölf bis 15 Pfund Mehl ein für die Kerbkuchen. Dann begannen für die Bäcker drei schwere Tage, sie mußten sich sogar aus der Nachbarschaft Hilfskräfte ausleihen. Donnerstagnacht waren dann die Milchhändler an der Reihe, die für jeden Kunden ein Stück Kerbkuchen mitbrachten. Die Freitagnacht wurde durchgebacken, den ganzen Samstag, oft bis in den Abend hinein. Berühmt war der Dietzenbacher Riwwelkuchen (für Nichthessen: Streuselkuchen) und vor allem der Käsekuchen, der noch ofenwarm gegessen wurde. Alle Kerbgäste kamen – erhielten ihren Kerbkuchen. und wer nicht da war, dem wurde er zugeschickt, so daß dazumal ein halber Waggon mit Kuchenpaketen aus dem Ort herausging.
Am Mittwoch kamen die Karussellwagen angefahren, am Donnerstag wurden die Karussells am Eingang der Schäfergasse zwischen dem Gasthaus „Krone“ (wo heute die Post ist) und der Metzgerei Alimannsberger aufgestellt.
Und so wie die Kinder heute noch tagelang vor der Kerb am Harmonieplatz (oder in diesem Jahr erstmals auch neben der SG-Halle an der Offenthaler Straße) mit gespannten und kritischen Blicken zuschauen, was sich da begibt, taten sie es auch dazumal. Schaubuden, Süßigkeiten und Spielsachenbuden, kurzum alles, was zu einem richtigen Juxplatz gehört, reihten sich bis zur Bäckerei Krapp an. Neben der Schule standen die Schießbuden, „Haut den Lukas“ oder auch einmal ein „Panorama“.

 

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Das sine die Kerbborsche aus dem Jahr 1909, vorwiegend junge Fußballer, denn in der „Harmonie“ tgrafen sich die Fußballer. Sie wären heute su um die achtzig, nur vier von ihnen weilen noch unter den Lebenden: Adam Altmannsberger, Ludwig Kern, Georg Heinrich Heberer und Heinrich Heberer, der in Offenbach lebt.

 

Schon lange aber vor allen diesen Vorbereitungen auf diesen Höhepunkt des Jahres hatten sich
Mitte September die 16- 20 jährigen Burschen im Hinterzimmer ihrer Stammwirtschaft zu einer „Kerbgesellschaft“ zusammengefunden. Man traf sich bis zur Kerb an jedem Sonntagabend um die Kerblieder zu lernen, und legte eine Kasse an für die Anschaffung der bunten Kappen und um die Musik zu bezahlen. An den Kappen konnte man erkennen, ob es sich um die Kerbburschen vom Milchhof, von der Krone, der Harmonie, der Linde oder vom Löwen handelte. Bei den Zusammenkünften, bei denen auch Mädchen zugegen waren, ging es natürlich lustig zu und allerei Hallodrie wurde getrieben. Ach Tage vor der Kerb wurde sie dann mit einem Faß Bier „angetrunken“ und der jeweilige Wirt stellte seinen Wein zum versuchen bereit.
Am Samstagabend vor der Kerb wurde der Kerbkranz gewunden (aus einem Strohreif mit Sellerieblättern drum), der in der Nacht mit Gesang im Ort umhergetragen wurde. Am Sonntagmorgen wurden dann Kranz und Kerbstrauß mit bunten Bändern und Papierrosen geschmückt, am frühen Nachmittag ging dann der Umzug los: An der Spitze wurde der Strauß  getragen, es folgten zwei Buben mit einer Mahne (Korb), dann die Musik und der Kerbkranz und dahinter die Kerbburschen mit Hacken, Schippen und sonstigen Arbeitsgeräte und natürlich dem Äppelwoi-Bembel. Jedesmal wenn die Musik zu Ende war, wurde eine Pause eingelegt und ein tiefer Schluck aus dem Bembel genommen. Das wiederholte sich so oft bis man an seiner Gastwirtschaft angekommen war – naturgemäß bereits in allerbester Stimmung. Hier stand eine eiserne Vorrichtung, um Kranz und Strauß anzubringen, und eine Leiter, von deren oberster Sprosse aus der gewählte Sprecher der Kerbburschen seine Rede hielt. Dann ging es mit Musik in den Saal und hier gebann der fröhliche Kerbtanz mit Walzern, Rheinländer, Schottisch und auch den beliebten Gesellschaftstänzen. Ein älterer Musikant, der Zopper genannt wurde, erhob das Tanzgeld, gab die bunten Tanzbändchen aus und sorgte für die Tanzordnung.
Billig war die Kerb übrigens nicht, es wurde nur Flaschenwein ausgegeben und die älteren Herrschaften, die keiner Kerbgesellschaft mehr angehörten und im Laufe des Nachmittags und Abend zwei bis drei Säle aufsuchten, gaben jedesmal der Musik ein Trinkgeld.
Am Montagmorgen zogen dann die Kerbburschen, nicht mehr ganz so frisch wie am Samstag, mit „selbstgemachter“ Musik zu Eltern und Bekannten, um den Morgensegen zu bringen und eine Gabe für die Kerbburschenkasse zu erbitten. Diese Kasse wurde dann am Dienstag in Speis und Trank umgesetzt, hinterher wurde die Kerb dann „begraben“. Die Kinder hatten inzwischen auf dem Kerbplatz ihren großen Tag, es herrschte dort ein wahres Gedrängel, man traf auch allerlei Bekannte von auswärts, die man Jahr und Tag nicht gesehen hatte.
Heinrich Berz schließt seine lebendigen Schilderungen mit der Feststellung: „Schaubuden und
Karussell sind heute noch da, aber sonst hat die Kerb in unserer Wirtschaftswunderzeit weitgehend ihre frühere Bedeutung verloren. Vielleicht gibt es wieder einmal eine Generation, die ein neues Brauchtum damit verbindet.“

 

Aus einer alten Kerbrede

Aus einer alten Kerbrede, die uns Weißbindermeister Göckel übermittelte, hier einige Auszüge:

Nun, ihr geehrten Zuhörer
Stiefelputzer und Schuhschmierer,
wenn der liebe Sommer scheidt,
nahet unsere Kirchweihzeit,
wo bei Tag und bei Nacht
getanzt wird und gelacht,
wo bei Musik und Gesang
niemand wird die Zeit zu lang.
Drum leben wir auch ohne Sorgen
von heute bis zum Mittwochmorgen.

Refrain: Kamerad schenk ein, es muß einmal getrunken sein.

Ich hab den Strauß hier in der Hand,
der ist geschmückt von Burschenhand,
kein Mädel gab dazu ein Band,
ist das nicht eine schwere Schand?
Aber dafür müßt ihr teuer büßen,
die Kerb, die sollt ihr schlecht genießen.
Inden Ecken müßt ihr stehn
und uns mit fremden Mädchen tanzen sehn.,
trinken sollt ihr keinen Wein,
das soll eure Strafe sein.
Nur unsere Frau Wirtin hat ein Band gegeben,
drum soll sie auch ein dreifach Hoch erleben.

Refrain: Kamerad schenk ein, es muß einmal getrunken sein.

Und nun eine Strophe zum vieldiskutieren Thema „Sex zur Großvaterzeit“:

Und ihr Mädchen mit rotem und weißen Gürtel,
kommet heute Nacht ins Scheuerviertel,
da hat der Wirt sich schon drauf gefreut
und etwas Stroh in die Ecke gestreut,
da könnt ihr kosen und küssen,
das brauchten ja nicht alle Leute zu wissen.

An die Eltern wird appelliert:
„Ihr lieben Eltern, laßt euch nicht erschrecken,
tut eure Hand diesmal etwas tiefer in den Geldsack stecken,
tut an euren Söhnen eure Pflicht,
schickt sie nicht fort mit leeren Taschen,
denn bei uns gibt es nur volle Flaschen.
Zwanzig Mark, das ist nicht viel,
vierzig ist noch emaol so viel,
fünfzig ist das rechte Ziel.
Und ihr Musikanten nun,
ihr könnt viel für Stimmen tun,
lasset eure Hörner sausen,
daß man es hört bis Messenhausen,
und eure Bässe brummen,
daß sei alle zu uns kummen,
blasen müßt ihr, daß ihr schwitzt,
sonst bekommt ihr von dem Kerbborsch nix.
User Wirt, das ist der richtige Mann,
der vieles versteht und auch kann,
er hat sichgut eingedeckt,
wie kann es anders sein,
mit edlen Getränken, Bier, Schnaps und Wein,
auch der Kuchen ist ihm gut geraten,
aber noch viel besser die Wüstchen un der Braten.
Drum sollt ihr ihn auch net vergessen,
und tut bai ihm richtig trinken und essen.
Ihr Kerbborsche, jetzt komm ich an Euch,
macht auf der Kerb kein dummes Zeug,
tut euch nicht mit den Gästen streiten,
seid leiber lustig und fröhlich wi in alten Zeiten.
Wir wollen die Kerb doch richtig genießen,
laßt einen hochleben
und tut ihn richtig begießen.
Das ist mein Rat für Euch:
also macht mir kein dummes Zeug!

 

 

Quelle: Dietzenbacher Gemeinde Post 17.9.1970