Jetzt welken wieder alle Blätter und fallen ab… (24.10.2016)

… uff die 262. Kerb

Von Burghard Wittekopf

20161024offenbachpost_01

Die Kerb versprach schon immer viel Spaß. Dieses Foto von 1950 zeigt Georg Heusel mit tochter Erika (links) und Sohn Peter auf dem Harmonieplatz. *Foto Dombrowski

DIETZENBACH * Es gibt sie also doch noch: Ganze Kerle, stark mutig, Schwiegersöhne, von denen Muttis träumen: die „Kerbborsche“. Und endlich ist es wieder soweit: Vom 28. Oktober bis 1. November wird in Dietzenbach die Kerb gefeiert – und das
bereits zum 262. Mal, wie Peter Maul, der Vorsitzende des Dietzenbacher Kerbvereins zu berichten weiß. Dann erklingt wieder das Kerblied mit der markanten Zeile: „Es welken alle Blätter, sie fallen alle ab, uff die Kerb.“
Alles begann im Oktober 1754. Goethe feierte gerade seinen fünften Geburtstag und die Dietzenbacher hatten ihre Ernte erfolgreich eingefahren. Das Erntedankfest stand vor der Tür, und die „Leute“ wollten sich nach der harten Arbeit auch vergnügen. Deswegen feierte man das Erntedankfest erstmals zusammen mit der Kirchweih (Kirmes), die Kerb war geboren.
Diese „Fest der Feste“ war immer etwas für das ganze Dorf. Es wird seitdem stets am letzten Sonntag im Oktober – oder auch ersten Novembersonntag – zum Gedenken an die Kirchweih gefeiert. Der Termin nach der Ernte war natürlich wirtschaftlich gut für die Kerb, denn die Bauern, die sonst wenig Geld übrig hatten, verdienten durch den Verkauf ihrer Ernte Geld, das sie auf der Kerb ausgeben konnten. Der Begriff „Kerbgeld“ wurde geboren.
Das ganze Dorf war dann auf den Beinen. Jung und Alt freuten sich schon wochenlang auf die Kerb. Häuse, Höfe und Ställe wurden gereinigt, vielleicht sogar neu getrichen. Dächer wurden repariert, Scheiben erneuert und die Stuben herausgeputzt. Die Frauen nähten Kerbkleider, und der Bub bekam vielleicht einen neuen Anzug. Metzger führten den Kerbochsen, der mit einem Kerbkranz geschmückt war, durch die Gassen und nahmen Fleischbestellungen für die Kerbfeier auf.
Und die Bäcker backen den Kerbkuchen. Berühmt war der Dietzenbacher „Riwwelkuche“. Alle Kerbgäste erhielten ihren Kerbkuchen, und wer nicht da war dem wurde er zugeschickt. Die Karussells, Schaubuden, Süßigkeiten- und Spielsachenbuden wurden – so wie heute auch noch – am Eingang der Schäfergasse zwischen dem damaligen Gasthaus „Krone“ und der Metzgerei Altmannsberger augfestellt.
Die Tradition der Kerbburschen wird auch heute noch gepflegt. Das ist die Aufgabe des Dietzenbacher Kerbvereins. Und wie früher auch, werden die Vorbereitungen bereits viele Wochen vorher getroffen. „Kerbborsch ist eine sehr schöne Arbeit, uns es gibt immer viel zu tun“, sagt Maul.
20161024offenbachpost_03Über ein halbes halbes Jahrhundert hat dieses Foto auf dem Buckel. Es zeigt das Kerbtreiben auf dem Harmonieplatz 1963. *Foto: p

20161024offenbachpost_02Mit Musik geht alles besser: Dietzenbacher Kerbborsche an der Harmonie im Jahre 1948 – am Montag vor dem Kerbumzug. *Foto Keim

Sehr früh trifft sich die „Kerbgesellchaft“ in ihrer Stammwirtschaft (heute Kerbzentrale) und bespricht den Ablauf vor und während der Kerb. „Kerbzentrale ist wie schon im vergangenen Jahr das Thesa am Harmonieplatz“, sagt Reiner Wagner.
„Da geht es jeden Taqg richtig ab. Tanzen, Disco, DJs, Rundelsingsang. Jeden Tag mehrere Veranstaltungen. Und es ist immer offen“, erzählt der Dietzenbacher Schauspieler und Entertainer. „Wie letztes Jahr bin ich der Kerbvadder, und Kerbmutter ist Marion Ravensberger.“ „Wir fahren alle mit dem Zug eines befreundeten Bauern aus Hainburg in den Wald und schlagen den Kerbbaum“, sagt Maul. „Und der wird dann auf dem Harmonieplatz aufgestellt“. Der Kranz für den Kerbbaum werde wie früher kunstvoll aus Selleriekraut gewunden: „Wir fahren alle nach Nieder-Erlenbach, ernten den Sellerie und binden den Kranz natürlich selbst. Der Sellerie wird dann freilich in der Kerbsupp verarbeitet.“ Abends gebe es in der Kerbzentrale die Kerbansprache und Musik.
„Auf die Kneiptour am Samstag freue ich mich besonders. Da gehen wir durch die Kneipen, und viele Wirte geben einen aus“, so Maul. „Am Sonntag ist dann wie immer der Weckruf mit Kerbkucheverkauf. Da ziehen wir mit dem Wagen durch Dietzenbach, und jeder kann unseren guten Kuchen kaufen“, sagt Maul. Montags sei traditionell das Heringsessen. Am Dienstag ist die Kerb vorbei, sie wird „begroawe“. „Wir sprechen die Grabrede und sind traurig“, sagt Maul. Danach kommt die Kerbverbrennung. Eine kleine Neuerung verrät Maul noch: „Der Kerbvadder heißt dieses Jahr Kerbbabba. Das steht auch auch auf der Schärpe drauf.“
-> Ein detailierter Bericht über die Kerb-Veranstaltungen vom 28. Oktober bis 1. November folgt in der nächsten Ausgabe.

20161024offenbachpost_04
Fast 100 Jahre al ist dieses Foto, das die Kerbborsche anno 1918 (Jahrgang 1901) zeigt. *Foto Berz

 

Quelle: Offenbach Post 24.10.2016