Jahrgang wahrt die Tradition, verliert aber kurzfristig seine Fahne
02.11.15 – 03:01
Jede Menge Schärpen: Bei der Kerberöffnung am Freitagabend sind Gerolf Baum (Zweiter von links) zum Ehrenkantor und Bernd Eifinger zum Ehrenkerbborsch ernannt worden.
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Dietzenbach – „Fünf Tage soll er über uns wachen, damit wir nicht zu viele Dummheiten machen.“ Im Publikum machen sich Gelächter und Stimmen breit, die just an jenen „nicht zu vielen Dummheiten“ zweifeln. Von Sonja Drücke
„Er kann’s ja zumindest versuchen“, relativiert einer der Kerbparre daraufhin. Die Rede ist von der Kerbbobb, die die Kerbborsche am ersten Kerbtag an den Kerbbaum gehängt haben.
Deren Name soll dann auch nicht mehr länger geheim bleiben: „Kevin allein am Baum.“ Begonnen hatte die traditionelle Kerbansprache am Freitagabend auf dem Harmonieplatz zunächst mit einem erheiternden Gebet und dem Trinkspruch „Kamerad, schenk ein! / Es muss einmal getrunken sein!“, woraufhin sofort die Verschlüsse der Bierflaschen aufploppten. Ein „Zitat“ aus der Bibel folgte: „Am Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde. Die Erde aber war wüst und öde. Und Finsternis lag auf der Urflut. Und der Himbeergeist schwebte über dem Wasser.“ Ab dieser Stelle ging es mit abstrusen Abwandlungen des Originaltextes weiter.
DJ Youngerman gestaltete die Rocknacht und Disco-Party.
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Auch bei der Vorstellung der Kerbborsche ließen die Redner ihrer Kreativität freien Lauf. Niemand wurde verschont: „Marc Späth macht seinem Namen alle Ehr – bis er kommt, ist der erste Stiefel leer“, hieß es etwa. Oder auch: „Adrian Joseph ist unser Sepp. Der hat jetzt beide Knie schepp.“ Daraufhin fragte sich niemand mehr, warum der Fahnenträger wohl im Rollstuhl sitzt. Auch die zwei Kerbparre bekamen ihre Vorstellung: „Witchhill“ alias David Bohlmann wurde nach seiner Heimat benannt, dem Hexenberg. Und Markus Neumann trägt den Spitznamen „Muggetell“, denn er ist musikalisch und im Schützenverein aktiv. Außerdem wurden einige Ehrenämter vergeben: Gerolf Baum etwa wurde zum Kerbkantor und Bernd Eifinger zum Ehrenkerbborsch ernannt, während Bürgermeister Jürgen Rogg, Ehrenkerbborsch 2009, noch eine Urkunde nachgereicht bekam.
Am Ende der Ansprache blickten die Redner noch kurz auf das Jahr zurück: Beim Faschingsumzug hatten die Kerbborsche in orangefarbenen Roben die Mülltonnen geschoben, beim Trinkbornfest waren sie „ausverkauft recht schnell / Nächstes Jahr machen wir mehr, gell?“. Nach einem Spruch „hoch oben“ auf der Leiter, dem Zerscheppern von Glas und dem Kerblied ging die Kerb für die Zehn mit ihrem Gefolge dann so richtig los: im Theater Schöne Aussichten spielte DJ Youngerman. Beim Einholen des Frühstücks am nächsten Morgen schafften es viele Kerbborschen nicht pünktlich aus dem Bett. Am Ende aber waren sie vollzählig, reichhaltig gestärkt und gut für den zweiten Tag gerüstet. Doch bis zum Samstagmittag hatten sie schon einige Verluste zu verzeichnen: Der Bembel, die Fahne samt Fahnenträger und die Kerbbobb wurden geklaut! Davon konnten sich die Kerbborsche aber alles bis auf „Kevin allein am Baum“, wiederholen.
Abends machten sie sich zu einer Kneipentour auf, von der aus es am späten Abend zur Party im Feuerwehrzelt ging. Auch die hatte zahlreich Besucher angelockt. Im Theater Schöne Aussichten sorgte DJ Youngerman erneut für musikalische Unterhaltung, und am Sonntagmorgen liefen die Kerbborsche zu ihrem traditionellen Weckruf mit Kuchenverkauf auf, bei dem sie hartnäckig vor einigen Häusern brüllten, bis jemand herauskam. Ziel der Kerbborsche ist es, die Kameradschaft, den Zusammenhalt und die Tradition zu bewahren, wie sie sagen, außerdem viel zu singen und natürlich, nicht noch einmal ihre Sachen zu verlieren…
Die Kerb in der Altstadt öffnet heute und morgen, Dienstag (Familientag), um 14 Uhr.
Quelle: op-online.de 2.11.2015