Parre Zottel (Uwe Schmedemann) hat sich 2011 gefragt, weshalb wir in Dietzenbach die Kerb so feiern, wie wir sie feiern. Wo kommt das Brauchtum her, wer hat es erfunden?. Niemand aus dem Verein hatte darauf konkrete Antworten. Es wurde so gefeiert, wie man es in den 70/80er-Jahren machte. Aber was war davor?
Um Antworten auf seine Fragen zu erhalten, hat ehemalige Kerbbborsche, Pfarrer und Zeitzeugen interviewt, die von der Nachkriegszeit und bis heute aktiv waren. Er hat in den Archiven der Stadt und des Kreises Offenbach recherchiert, Chroniken, BĂŒcher, Aufzeichnungen von Dietzenbachern durchgeackert. Er musste feststellen, dass zu der Kerbborschentradition nicht viel niedergeschrieben wurde. Aber einiges hat er doch gefunden.
In dieser Serie âParre Zottels Geschichtsstundeâ findet ihr die BeitrĂ€ge, die er zu unseren schönen Kerb und den BrauchtĂŒmern zusammengetragen hat.
Wir danken den Autoren und Herausgebern fĂŒr die Erlaubnis die BeitrĂ€ge hier zu veröffentlichen zu dĂŒrfen und wĂŒnschen euch allen viel SpaĂ beim Schmökern.
Im Laufe der Jahre haben sich die Kerbborsche viele Rituale ausgedacht, alt hergebrachte fallen gelassen oder neu fĂŒr sich entdeckt. In der heutigen Zeit gibt es Rituale, die von den BĂŒrgern gerne gesehen werden und welche, die sich fĂŒr das âĂberlebenâ der Kerbborschetradition als wichtig herauskristallisiert haben. Das Binden des Kerbkranzes Der Kerbkranz hieĂ frĂŒher Jungfernkranz und wurde von den Borsche fĂŒr ihre Liebste gebunden und z.B. auf dem RĂŒcken an einer Heugabel zum Haus ihrer Eltern getragen. Das war so etwas wie ein Heiratsantrag und das Einholen der Erlaubnis um ihre Hand anhalten zu dĂŒrfen. Zu einer spĂ€teren Zeit wurde der Kerbkranz von den Kerbwirten an ihren WirtshĂ€usern angebracht. Damit zeigten sie an, hier feiern wir die Kerb âUns iss die Kerbâ. Heutzutage hĂ€ngt ein groĂer Kranz unterhalb der Krone des Kerbbaums und bildet das Dach fĂŒr die Kerbbobb, kleinere KrĂ€nze zieren eure Kerbzentrale und die GaststĂ€tte der Kerbeltern auf Lebenszeit. Der Kerbkranz wird wie frĂŒher von MĂ€nnerhand aus Selleriekraut gewickelt und mit bunten BĂ€ndern behĂ€ngt. Frauen dĂŒrfen dabei niemals Hand anlegen! Kerbbobb bauen Die Kerbbobb ist das Heiligtum eures Kerbborschejahrgangs und steht unter ihrem Schutz. Sie wird immer am Samstag – 2 Wochen vor der Kerb gebaut. Dies ist reines MĂ€nnerritual! Nach der Fertigstellung wird die Kerbbobb im Dunkeln unter Verschluss gebracht, um sie vor fremden Einblicken zu schĂŒtzen. Ihr Name wird bis zum Kerbantrinken geheim gehalten. Kerbbaum holen und stellen Seit ca. 1950 ist der Kerbbaum wieder das Wahrzeichen der Kerb in Dietzenbach. Mittags am Kerbfreitag fahren die Kerbborsche, Altkerborsche, erfahrenen Helfer und dem â1. Dietzenbacher Baumstellregimentâ in den Wald um eine möglichst gerade gewachsene Fichte zu fĂ€llen. Nach diesem körperlichen Akt wird das beliebte âHĂ€ngebauchschweinâ getrunken. Der Kerbbaum wird dann z.B. mit Traktor und Rolle und viel, viel Gesang durch die Stadt zum Aufstellplatz gebracht. Dort angekommen wird der Baum mit dem Kerbkranz geschmĂŒckt und die Kerbbobb findet ihren angemssenen Platz unterhalb des Kranzes. Der Baum wird zusammen mit allen Helfern mit Hilfe von Stangen, Leitern und Seilen aufgestellt. Traditionell gibt es nach der schweren Arbeit ein gepflegtes Bier und leckere Erbsesupp fĂŒr alle Beteiligten. Kerbansprache Die Kerbansprache eröffnet die Kerbzeit. Hierzu versammeln sich die Kerbborsche in ihrer Tracht mit Fahne, Bembel und Gefolge vor der Kerbzentrale. Jeder erhĂ€lt vom Kerbvadder einen gefĂŒllten Henkelmann. Der Kerbparre hat seine Bibel und sein âWeihwerkzeugâ dabei, denn er wird jetzt die Kerbansprache halten. In dieser Ansprache werden traditionell lokale DitzebĂ€scher Begebenheiten auf die Schippe genommen. Nach der Rede wird die Kerbbobb getauft. Am Ende der Kerbansprache folgt ein festgelegtes Ritual. Der Parre nimmt ein Schnapsglas und steigt auf eine Leiter. Es folgt der Spruch: âIch bin die Leider nuffgestiehe und steih es ach widder nunner. Doch wenn dies GlĂ€sschen nicht zerbricht, feihern wir unsere Kirchweih nichtâ. Dann trinkt er das GlĂ€schen aus und wirft es zu Boden. AnschlieĂend steigt er wieder runter und ruft: âIm Osten geht die Sonne auf, im Westen geht sie unter. […] Dick is de Stempel a noi muss er dochâ. Es folgt das Kerblied und ein âWem is die Kerb?â und die Borsche rufen lauthals âUNSER!â. Die Kerb ist nun offiziell eröffnet! Im Anschluss findet ein geselliges Beisammensein in der Kerbzentrale statt. Taufe der Kerbbobb Die namenlose Kerbbobb erhĂ€lt wĂ€hrend der Kerbansprache ihren angedachten Namen. Diese Taufe ĂŒbernimmt der Kerbparre. Ab diesem Zeitpunkt wacht die Kerbbobb hoch ĂŒber dem Kerbplatz ĂŒber das Kerbtreiben. Einsegnung Mit der Einsegnung bringt der Kerbparre seinen Segen aus. Dies kann wĂ€hrend der Kerb jederzeit stattfinden, meist jedoch nur wĂ€hrend der offiziellen Ansprachen. Dazu benötigt er sein âWeihwerkzeugâ. Ein mit Wasser gefĂŒllter Eimer, und eine Kloberscht (Offiziell die aal Berscht vum Grottewirt. âDer Hutmacher behĂŒte Euch Der Schirmmacher beschirme Euch Der GeschĂŒtzmacher beschĂŒtze Euch Der Hund hebe das linke Bein und gebe die heilige Taufeâ Der Parre besprenkelt unter Aufsagung der alten Weisheiten die zu segnenden Personen. FrĂŒhstĂŒck einholen Angelehnt an eine schöne Sage lĂ€uft in Dietzenbach die Zischeunern am Kerbsamstagmorgen mit den Kerbborschen durch die Altstadt. Dort erbettelt sie das FrĂŒhstĂŒck fĂŒr sich und âihre Kinnernâ Kneiptour Die Dietzenbacher Kerb ist traditionell eine âKneipenkerbâ. Wahrscheinlich aufgrund des meist nasskalten Wetters im November haben unsere Ahnen diese Art des Feierns gewĂ€hlt. In fast allen Wirtschaften des Ortes wurde die Kerb gefeiert und einige Wirte stellten ihre Kneipe den jungen StammgĂ€sten als Kerbkneipe zur VerfĂŒgung. Es gab Kerbborsche von der Linde, von der MilchkĂŒsch, vom Löwen und so weiter. Diese Kerbborschegemeinschaften hegten doch eine gewisse RivalitĂ€t gegeneinander und besuchten sich gegenseitig in ihren WirtshĂ€usern. Es gab Wettsingen, Wetttrinken und wahrscheinlich einiges, was wir gar nicht wissen wollen. Heutzutage sind die WirtshĂ€user rar geworden. Nichtsdestotrotz halten die Kerbborsche an diesem Ritual fest. Sie ziehen am spĂ€ten Samstagnachmittag mit guter Laune, Bembel, Fahne und vielen Liedern von Kneipe zu Kneipe. Dort stecken sie mit ihrer Feierlaune die anderen GĂ€ste an. SĂ€ngerfrĂŒhschoppen Am Montagmorgen treffen sich die SĂ€nger der Dietzenbach Chöre zu ihrem KerbfrĂŒhschoppen. Manchmal feiern sie alle gemeinsam, manchmal auch getrennt. Der Kerbverein hat dazu die Chöre in den letzten Jahren in die Kerbzentrale oder andere passende RĂ€umlichkeiten eingeladen. Sie singen die alten Lieder, die sonst nirgendwo zu hören sind. Dazu gibt es leckere Mettbrötchen, Hering mit Quelldene und natĂŒrlich viele gute Sachen, um die Stimmen zu ölen. Es gibt kaum eine andere Zusammenkunft in Dietzenbach, wo sich alte und junge Menschen zum Singen, Essen und Trinken so nah kommen und gemeinsam ihren SpaĂ haben. Kerbschoppen im Gemeindehaus Am Kerbdienstag, dem letzten Kerbtag, veranstaltet die Christusgemeinde, also die Gemeinde unseres âGeburtstagskindsâ, im Gemeindehaus ihren Kerbschoppen. Viele Menschen versammeln sich dort zum leckeren Hackbraten und erfrischenden GetrĂ€nken. Kerbverbrennung mit Grabrede und Leichenschmaus Am Dienstagabend wird das offizielle Ende der Kerb zelebriert. Die Kerbborsche haben mittlerweile die Kerbbobb vom Kerbbaum geholt oder von Dieben ausgelöst. Der Kerbparre trĂ€gt die Grabrede vor. Dabei wird er die Geschehnisse der Kerb erzĂ€hlen und segnet die neuen Kerbborsche ein. Nach der Grabrede wird die Kerbbobb mit den Fackeln entzĂŒndet. Die KerbhĂŒte werden abgenommen und eine tiefe Trauer ĂŒberkommt alle anwesenden. WĂ€hrend die Kerbbobb in Rauch aufgeht, singen
Kerb ist in unserer Region der Ausdruck fĂŒr Kirchweih (Kirwe, Kerwe, KirbâŠ). Kurz gesagt, wir feiern alljĂ€hrlich den Geburtstag unserer Kirche, der Christuskirche in der DarmstĂ€dter StraĂe. Die Christuskirche wurde im 30jĂ€hrigen Krieg schwer beschĂ€digt, zwischen 1753 und 1754 um einiges gröĂer wieder aufgebaut und am 27. Oktober 1754 eingeweiht. Die erste ErwĂ€hnung der Kirchweih lautet folgendermaĂen: âAls die Kirche den 27t Okt. 1754 eingeweyhet worden, ist sowohl in dem Pfarr als in des Kirchen Ăltesten HanĂ Michel Knecht HauĂ wegen der Frembten, an Victualien und Wein aufgegangen und an Zehrung gekostet 27 fl 34 Kr.â [1] Federzeichnung von Hans Schmand Dieser 27. Oktober ist unser sogenannter Kerbleger. Um diesen Tag wurde die Kerb begangen. Irgendwann spĂ€ter wurde der Kerbleger auf den 28. Oktober verlegt. Dieser Tag ist der Gedenktag an die Apostel Simon und JudĂ€a. Das war frĂŒher Gang und Gebe. So wurde dem Kirchgeburtstag noch mehr Glanz verliehen. VerkĂŒndung der evangelischen Christuskirche vom 28.1.2013: âDie Dietzenbacher Kerb wird alljĂ€hrlich am Wochenende nach dem 28. Oktober begangen. FĂ€llt der 28. Oktober auf einen Sonntag, wird die Kerb am Wochenende des 28. Oktober begangen.â Unsere heutige Kerb geht von Freitag bis Dienstag um den sogenannten Kerbleger. Der Kerbleger ist der Kerbsonntag. [1] Dietzenbacher Kirchenbau anno 1753/1754 © Copyright 1979 bei Buch und Kunst, Helga Welcker-Petrenz, Dietzenbach Quelle: Das Handbuch fĂŒr den DitzebĂ€scher Kerbborsch – Parre Zottel 2015
Uff de Kerb Von Jakob Heinrich Berz 1981 Das âFest der Festeâ aber war alljĂ€hrlich fĂŒrs ganze Dorf die Kerb. Sie wurde stets am Sonntag nach Simon JudĂ€a, also am letzten Oktober – oder auch ersten Novembersonntag, zum Gedenken an die âKirchweiheâ im Jahre 1754 gefeiert. Die Dietzenbacher Kerb ist eine der letzten im Kreis Offenbach, nur Dudenhofen folgt noch vierzehn Tage spĂ€ter. Das war immer ein sehr gĂŒnstiger Termin, denn bis zu dieser Zeit war die Ernte unter Dach und Fach und man konnte die Kerb gleich als Erntedankfest mitfeiern. Bargeld, im Leben der Bauern und der kleinen Handwerker, die von diesen Bauern lebten, bekanntlich immer knapp, war nach der Ernte vorhanden. So war ein anstĂ€ndiges Kerbgeld, ein neuer Anzug zur Kerb, Stiefel, ein neues Kleid fĂŒr die Kinder, die bei der Ernte ja tĂŒchtig hatten mithelfen mĂŒssen, möglich. Die jungen Burschen und MĂ€dchen, aber auch mancher schon Ăltere, freuten sich vor allem auf das TanzvergnĂŒgen. Tanzmusik gab es eigentlich nur am zweiten Weihnachtstag, an Pfingsten oder alle Schaltjahre mal auf einem Fest. So freute sich Jung und Alt schon wochenlang auf die Kerb und wochenlang wurden bereits Vorbereitungen getroffen. Mitte Oktober, wenn die Ernte eingebracht und Ăpfel und Kartoffeln gut verkauft waren, begann in Dietzenbach das groĂe Reinemachen. Das ganze Haus wurde vom Boden bis zum Keller auf den Kopf gestellt, die Handwerker hatten alle HĂ€nde voll zu tun, weil sogar DĂ€cher erneuert oder das Haus frisch gestrichen wurde. Die Stube erhielt ein neues Wandmuster, auf dem Tisch wurde ein neues Wachstuch aufgelegt, zerbrochene Scheiben wurden eingezogen. Wo Töchter im Haus waren, kam die Schneiderin, um die Kerbkleider anzufertigen. In der Woche vor der Kerb schlug dann die groĂe Stunde der Metzger und BĂ€cker. Am Montagnachmittag fĂŒhrte jeder Metzgermeister seinen Kerbochsen mit einem Kranz um den Hals geschmĂŒckt, begleitet von einer Kinderschar durch das Dorf. Am folgenden Tag schickte er einen Angehörigen in die HĂ€user und nahm Bestellungen fĂŒr Suppenfleisch, Braten und Wurst auf, die dann am Samstag fein sĂ€uberlich mit einem Leinentuch zugedeckt ins Haus gebracht wurden. Die Hausfrauen kauften zwölf bis fĂŒnfzehn Pfund Mehl ein fĂŒr die Kerbkuchen. Dann begannen fĂŒr die BĂ€cker drei schwere Tage, sie muĂten sich sogar aus der Nachbarschaft HilfskrĂ€fte ausleihen. Donnerstagnacht waren dann die MilchhĂ€ndler an der Reihe, die fĂŒr jeden Kunden ein StĂŒck Kerbkuchen mitbrachten. Die Freitagnacht wurde durchgebacken, den ganzen Samstag, oft bis in den Abend hinein. BerĂŒhmt war der Dietzenbacher Riwwelkuchen und vor allem der KĂ€sekuchen, der noch ofenwarm gegessen wurde. Alle KerbgĂ€ste kamen, erhielten ihren Kerbkuchen, und wer nicht da war, dem wurde er zugeschickt, so daĂ dazumal ein halber Waggon mit Kuchenpaketen aus dem Ort herausging. Am Mittwoch kamen die Karussellwagen angefahren, am Donnerstag wurden die Karussels am Eingang der SchĂ€fergasse zwischen dem Gasthaus âKroneâ und der Metzgerei Altmannsberger aufgestellt. Und so wie die Kinder heute noch tagelang vor der Kerb am Harmonieplatz oder an der Offenthaler StraĂe mit gespannten und kritischen Blicken zuschauen, was sich da begibt, taten sie es auch dazumal. Schaubuden, SĂŒĂigkeiten- und Spielsachenbuden, kurzum alles, was zu einem richtigen Juxplatz gehört, reihten sich bis zur BĂ€ckerei Krapp an. Neben der Schule standen die SchieĂbuden, âHaut den Lukasâ oder auch einmal ein âPanoramaâ. Schon lange aber vor allen diesen Vorbereitungen auf diesen Höhepunkt des Jahres hatten sich Mitte September die 16- bis 20jĂ€hrigen Burschen im Hinterzimmer ihrer Stammwirtschaft zu einer âKerbgesellschaftâ zusammengefunden. Man traf sich bis zur Kerb an jedem Sonntagabend, um die Kerblieder zu lernen, und legte eine Kasse an fĂŒr die Anschaffung der bunten Kappen und um die Musik zu bezahlen. An den Kappen konnte man erkennen, ob es sich um Kerbburschen vom Milchhof, von der Krone, der Harmonie, der Linde oder vom Löwen handelte. Bei den ZusammenkĂŒnften, bei denen auch MĂ€dchen zugegen waren, ging es natĂŒrlich lustig zu und allerlei SpĂ€Ăe wurden getrieben. Acht Tage vor der Kerb wurde sie dann mit einem FaĂ Bier âangetrunken und der jeweilige Wirt stellte seinen Wein zum versuchen bereit. So kam endlich der Kerbsamstagabend herbei. An diesem Abend wurde von den Kerbburschen im Kerblokal der Kranz gewunden, kunstvoll aus Selleriekraut und gut einen Zentner schwer, am Ende wurde er mit so vielen bunten BĂ€ndern geschmĂŒckt, daĂ kaum noch das dunkle SelleriegrĂŒn zu sehen war. An drei festen bunten Stricken wurde er in der Mitte an einer Heugabel aufgehĂ€ngt und um Mitternacht unter dem Singen des Liedes âWir winden dir den Jungfernkranzâ in die Wohnung der vorher ausgewĂ€hlten Kerbjungfrau getragen. Am Kerbsonntag herrschte lebhaftes Treiben auf allen StraĂen und in den WirtshĂ€usern. Punkt drei Uhr erklangen Fanfaren, der Kerbzug mit einer Musikkapelle und den Kerbburschen an der Spitze setzte sich in Bewegung. Zwei Buben trugen einen Korb an einer Stange, geheimnisvoll mit einem weiĂen Tuch zugedeckt, neben ihnen zwei Kerbburschen mit Hacken und Spaten. Hinaus ging es vors Dorf auf einen Acker. Dort wurde gehackt und gegraben und frische braune Ackererde in den Korb geschippt, das weiĂe Tuch wieder ĂŒber den Korb gedeckt und zurĂŒck ging es ins Dorf. Die Musik spielte, die Ăbbelwoibembel kreisten und ab und zu wurde eine Pause eingelegt und ein tiefer Schluck aus dem Bembel genommen. Das wiederholte sich so oft bis man an seiner Gastwirtschaft angekommen war naturgemÀà bereits in allerbester Stimmung. Hier stand eine eiserne Vorrichtung, um Kranz und StrauĂ anzubringen und eine Leiter, von deren oberster Sprosse aus der gewĂ€hlte Sprecher der Kerbburschen seine Rede hielt. Es war eine satirische Rede in Versen ĂŒber alles, was sich so im vergangenen Jahr im Ort getan hatte und manches schadenfrohe GelĂ€chter klang auf. Nach jedem Vers ertönte es laut: âKamerad schenk ein, es muĂ einmal getrunken seinâ, wozu die Musik einen Tusch erklingen lieĂ. Dann ging es mit Musik in den Saal und hier begann der fröhliche Kerbtanz mit Walzern, RheinlĂ€ndern, Schottisch 1) und auch den beliebten GesellschaftstĂ€nzen. Ein Ă€lterer Musikant, der Zopper genannt, erhob das Tanzgeld, gab die bunten TanzbĂ€ndchen aus und sorgte fĂŒr die Tanzordnung. Billig war die Kerb ĂŒbrigens nicht, es wurde nur Flaschenwein ausgegeben und die Ă€lteren Herrschaften, die keiner Kerbgesellschaft mehr angehörten
Die Kerb in Dietzenbach von Hedi WeilmĂŒnster Die Dietzenbacher âFrohsinnâ Kerbburschen 1925 vom âneuen Löwenâ. Als BembeltrĂ€ger der Sohn des Löwenwirtes Heinrich Heberer (Fotoarchive WeilmĂŒnster) Im alten Dietzenbach waren die Festlichkeiten, die das tĂ€gliche Einerlei des arbeitsreichen Jahreslaufes unterbrachen, Ă€uĂerst gering. Nur die âKerbâ, die im Dorf sozusagen als âhöchster Feiertagâ galt, wurde und wird heute noch nach alter Sitte und den damit verbundenen BrĂ€uchen von den Einwohnern drei Tage lang gefeiert. Mit dem Bau der Kirche wurde im Jahr 1753 in der Amtszeit von Pfarrer Preibisius begonnen. Die Einweihung der Kirche, also die Kirchweihe, fand unter groĂer Beteiligung der Dorfbewohner am 27. Oktober 1754 statt. Aus diesem AnlaĂ wird die Kirchweih, im Volksmund die âKerbââ am letzten Wochenende im Oktober oder am ersten im November gefeiert. Und wenn diese Kerbtage nahten, war das ganze Dorf in Aufruhr. Wochenlang vorher gings schon los mit dem âKerbputzâ. Das ganze Haus wurde auf den Kopf gestellt, denn viel Verwandtschaft hatte sich meistens zum Besuch angemeldet. Viel Arbeit mit dem Anfertigen der neuen âKerbkleiderâ hatten die einheimischen Schneiderinnen. Und selbstverstĂ€ndlich muĂte zur âKerbâ bei den Frauen auch âde Kopp en de Reihâ seuâ. Die FriseurgeschĂ€fte hatten in der Kerbwoche Hochbetrieb, denn meistens gabs neue Dauerwellen. Aber auch beim BĂ€cker und beim Metzger gings ârundâ. Montags schon fĂŒhrten die Metzger unter groĂer Beteiligung der Dorfbewohner, hauptsĂ€chlich der Kinder, ihren zum Schlachten bestimmten âKerbochsâ, der mit einem Kranz geschmĂŒckt war, durch die StraĂen. Die Leute muĂten rechtzeitig ihre groĂen Bestellungen abgeben, die Ware wurde oft auch ins Haus gebracht. Schwerstarbeit muĂten auch die BĂ€cker leisten, denn viele Bleche voll âKerbkoucheâ muĂten gebacken werden. Als Dietzenbach nur 3000 Einwohner hatte, gab es immerhin etwa sieben BĂ€ckereien und alle hatten ihre Stammkunden. Also, es wurde zur Kerb freitagnachts âdurchgebackenâ und samstags fast noch den ganzen Tag. Vom Kerbkuchen wurde auch viel an die eingeladenen KerbgĂ€ste verschenkt. Am beliebtesten waren âQuetsche-â Riwwel- und KĂ€skoucheâ. Es wurde berichtet, daĂ einst ein scheinbar hungriger Gaul einen im Hof einer BĂ€ckerei abgestellten groĂen âRiwwelkoucheâ voll und ganz gefressen, danach freudig gewiehert habe und zufrieden in den Stall getrabt sei. Der âKerbplatzâ befand sich frĂŒher mitten im Ort an der Alten Schule, spĂ€ter dann am Harmonieplatz. Es gab höchstens ein Kinderkarussell, eine SchieĂbude und einen Zuckerstand. SpĂ€ter war die Schiffschaukel sehr beliebt. Kerbgruppe der âMilchhöferââ benannt nach dem gleichnamigen âMilchhofâ in Dietzenbach. SpĂ€ter hieĂ der Verein âTurngesellschaftâ. Der Wagen wurde Anfang der 30er Jahre gefahren von Hch. Gaubatz. (Fotoarchiv H. Balzerâ Dietzenbach) GroĂ herausgeputzt hatten sich die vielen GasthĂ€user. Das Dorf hatte âAnnodazumalâ sogar sieben SĂ€le, in denen der âKerbtanzâ stattfand. Die Hauptsache bei der ganzen Kerb waren aber die âKerbborscheâ (Kerbburschen). Wochen vor dem groĂen Ereignis trafen sich junge Burschen und probten die Kerblieder. Mit einem FaĂ Bier wurde eine Woche vorher die Kerb in den jeweiligen GasthĂ€usern âangetrunkenâ. Den âKerbkranzâ, der vor den Vereinslokalen aufgehĂ€ngt wurde, muĂten die Kerbburschen selber wickeln und zwar mit SellerieblĂ€ttern und bunten BĂ€ndern. So ein Kranz war manchmal fast ein Zentner schwer. Auch ein ausgestopfter âKerbborschâ wurde hie und da aufgehĂ€ngt. Sonntagmittags zogen die Kerbburschen mit Musik zum Kerbplatz. Eine âgeheimnisvolle Maanâ (Korb), gefĂŒllt mit frischer Ackererde wurde von zwei Buben getragen. Sie war mit einem weiĂen Tuch zugedeckt und hatte eine bestimmte Bewandtnis. Von Wirtschaft zu Wirtschaft wurde gezogen, die âĂbbelweu-Bembelâ machten die Runde. Dann kam der groĂe Moment der âKerbreddâ (Kerbrede). Auf einer groĂen Leiter hielt der dazu bestimmte Kerbborsch eine Ansprache in Reimen und zwar ĂŒber amĂŒsante Begebenheiten, die sich so in einem Jahr im Dorf ereignet hatten. Oft gab es auch darĂŒber Ărger, wenn er jemand allzu sehr âauf die Schippâ genommen hatte (gehĂ€nselt hatte). Kerbburschen um 1911 in Dietzenbach im Hof des âLöwenâ. Kerbkranz aus SellerieblĂ€ttern geïŹochten, mit BĂ€ndern und Papierrosen verziert. (Fotoarchiv EIis. Lehr, Dietzenbach) Nun begaben sich Musikanten, Kerbburschen und die versammelten Dorfbewohner in die GasthĂ€user und TanzsĂ€le. Nur wer gekaufte TanzbĂ€ndchen angesteckt hatte, durfte tanzen. Getanzt wurden anno dazumal am liebsten Walzer, RheinlĂ€nder und Schnicker. So wurde auch noch ab montagnachmittag oft bis in den Dienstag hinein das Tanzbein geschwungen. Das traditionelle Essen in den Lokalen war Rippchen und Sauerkraut und HandkĂ€s mit âMusikâ. Kerbmontag in der FrĂŒhâ zogen die Kerbborsche dorch die StrooĂe sie sangen mit rauhem Hals un hawwe gebloose und sammelten Geld in de HĂ€user und bei de GeschĂ€ftsleut unn hunn sich dann uff de FrĂŒhschobbe gefreut dienstagabends iss werre alles uff de Kerbplatz gerennt denn dort hott mer jetzt en Kerbborsch verbrennt das hieĂ: die âKerbâ wurde begraben nach altem Brauch und beerdigt wurde der Kerbborsch dann auch Nach dieser Zeremonie, die âen Parreâ (ein als Pfarrer verkleideter Kerbbursche) mit einer âGrabreddâ abschloĂ, gings wieder in die Lokale zurĂŒck. Bei âQuelldeneâ (Pellkartoffel) mit Hering und viel Apfelwein klang in lustiger Gesellschaft die âDietzebĂ€cher Kerbâ aus. Quelle: âLandschaft Dreieichâ 1989
Kirchweihbrauchtum in der Dreieich im Spiegel von drei Jahrhunderten von Gerd J. Grein Das Kirchweihbrauchtum des Odenwaldes ist in der Ă€lteren heimat- und volkskundlichen Literatur mehrfach behandelt worden[1]. Neuerdings hat Heinz Schmitt die dörfliche âKerweâ aus einem Teilgebiet des Odenwaldes, der Gegend um Weinheim, in ihrer heutigen Form mit allen Brauchhandlungen geschildert[2]. In der Folge soll nun eine Abhandlung des Kirchweihbrauchtums aus der Dreieich, einer vielfach als brauchleer bezeichneten Landschaft sĂŒdlich Frankfurts, im nördlichen Odenwaldvorland, gegeben werden. Aufgrund zahlreicher archivalischer, literarischer und ikonographischer Zeugnisse sind wir in der Lage, Beharrung und Wandlung eines ehemals kirchlichen Festes aus der vorreformatorischen Zeit, mit all dem GeprĂ€nge an Brauchhandlungen, bis in unsere Tage aufzuzeigen. Allerdings werden wir uns nur mit einem ĂŒberschaubaren Zeitraum vom 16. bis 19. Jahrhundert befassen. Die Landschaft Dreieich wurde ab dem Jahre 1528 reformiert und in der Folge haben sich die lutherischen Pfarrer mehr oder minder eifrig gegen die wirklichen oder vermeintlichen AuswĂŒchse des Festes gewandt. Sie haben mit ihren Eingaben an die vorgesetzten Kirchenbehörden und andere Stellen der Obrigkeit ungewollt wichtige und reizvolle Quellen fĂŒr die Volks- und Kulturforschung geliefert. Mit Beginn des 19. Jahrhunderts setzt dann eine systematische Darstellung der Brauchelemente durch die Autoren der Landes- und Ortsbeschreibungen ein[3]. SchlieĂlich â und das ist die Besonderheit in unserem Untersuchungsgebiet – haben ab der zweiten HĂ€lfte des 18. Jahrhunderts einige lokale Maler und KĂŒnstler, die zu den GroĂen ihrer Epoche zĂ€hlten, die lĂ€ndlichen Kirchweihfeiern zum Gegenstand ihrer Bildinhalte gewĂ€hlt. Eine ungewöhnlich groĂe Zahl von âKirchweihbildernâ ist in den öffentlichen Kunstsammlungen der Umgebung zu besichtigen und der Betrachter wird dies mit Erstaunen zur Kenntnis nehmen. Vor diesem Hintergrund wollen wir gerade diese bildlichen Zeugnisse in den Vordergrund unserer Betrachtung rĂŒcken. Kirchweih – Kirb – Kerb Nach dem Grimmschen Wörterbuch und der groĂen Brockhaus-EnzyklopĂ€die bedeutet âKirchweihâ ursprĂŒnglich die feierliche Ăbergabe gottesdienstlicher RĂ€ume. In der lateinischen Liturgie wurden solche Kirchweihen seit dem MailĂ€nder Edikt von 313 durch die erstmalige Feier der Eucharistie durch den Bischof vorgenommen – zunĂ€chst jedoch ohne besondere Riten. Ab dem 9. Jahrhundert traten zu den einfachen Weihehandlungen vielschichtige Riten, die im 13. Jahrhundert ihre reichste Ausgestaltung erfuhren (Altarwaschung und Salbung, Beisetzung von Reliquien etc.), 1596 im Pontificale Romanum festgeschrieben und erst von Johannes XXXIII. wieder vereinfacht wurden. Die evangelische Kirche kennt als Kirchweihe nur die feierliche Ăbernahme des gottesdienstlichen Raumes durch die Gemeinde, da die Reformatoren die katholischen Riten verwarfen und nach 1. Tim. 4,5 die Kirche als Aussonderungen des GebĂ€udes zum kirchlichen Gebrauch verstanden haben wollten. Seit dem 9. Jahrhundert wurde der Jahrestag der Kirchweihe zum weltlichen Fest, welches MĂ€rkte, Schausteller und ein reiches Brauchtum mit sich brachte. Das Kirchweihfest wandelte sich: âDie Verweltlichung des Festes ist alt[4]. Das Kirchweihfest, welches im niederdeutschen und niederlĂ€ndischen Sprachbereich âKirmesâ, im frĂ€nkischen âKirbââ âKirweâ, im schweizerischen âKilbeâ und im bayerischen-österreichischen âKirtaâ genannt wird, heiĂt in unserer Region in der Ă€lteren Mundartfassung des frĂ€nkischen EinfluĂbereiches bis Ende des 19. Jahrhunderts âKirbâ und danach âKerbâ. Da die Kirchweihen zu den beliebtesten Volksfesten im mitteleuropĂ€ischen Raum avancierten, wurde bereits im 15. und 16. Jahrhundert in vielen deutschen Regionen das Fest von der Obrigkeit auf ein bis zwei Tage beschrĂ€nkt und in den Herbst – nach eingebrachter Ernte – verlegt. Aus dem Kirchenfest wurde ein Erntefest. Um dem MĂŒĂiggang und der Verschwendung vorzubeugen, ging die Reglementierung noch weiter: âKein Dienstbote sollte jĂ€hrlich mehr als eine Kirmes auĂerhalb seines Wohnortes besuchen, kein Hausvater mehr als acht KirchweihgĂ€ste aufnehmen und nie mehr als vier Gerichte tĂ€glich auftischen.â[5] So werden die meisten Kirchweihfeiern noch heute in der Dreieich in den Herbstmonaten (von Ende August bis Mitte November) begangen. Nur Dreieichenhain (= Dreieich-Dreieichenhain) macht hier eine Ausnahme. Die âHaaner Kerbâ wird am Pfingstwochenende gefeiert und hat fĂŒr die ganze Region die Bedeutung eines FrĂŒhlingsfestes erlangt, was sich gleichermaĂen auf ihre PopularitĂ€t auswirkte. Das Ărgernis der Pfarrer Die schriftliche Ăberlieferung der Kirchweih und ihrer Brauchhandlungen setzt fĂŒr unser Untersuchungsgebiet erst nach der Reformation ein. Das frĂŒheste Zeugnis stammt aus dem Jahre 1562. Damals machte sich der Dreieichenhainer Pfarrer Valentin Breidenstein aus Kassel, der hier seit 1549 amtierte und 1566 an der Pest verstarb, zum FĂŒrsprecher seiner Amtskollegen in der damals isenburgischen Dreieich (âDie Pfarherren in der Dreyeich ubergeben ettlicher Unordtnung und ergernus halben, sich unter Ihren Pfarrkindern erhaltend, diese verfaste puncten Ao 62â).[6] Nachdem er sich ĂŒber die âFassnachtâ auslieĂ (âSyntemall es ist ein solch heidenisch Werck, da die leut auch die gleich den teuffeln sich verstellen, und sonderlich das pawernvolck bratereien gehen, und von Hauss zu Hauss mit trummen und pfeifen im Dorff umblauffen, alss wen sie toll und unsinnig werenâŠâ), kommt er auf die Kirchweih zu sprechen: âEin solchen Ehrlichen Convent helt man auch auff den Kirchweigen, da das Volck zusamen kompt, alle Wirtsheusser voll sin dt, Jedermann schwelget und seuffet, biss endlich, wen sie voll und tholl sind, ein hawen und stechen darauss wirdt, das ein sprichwortt daraus worden ist, den pawren soll man ihre krichweig allein lassen das ist je ein lobliche frucht, die auss den Kirchweigungen herkompt.â Er versucht also die Diskrepanz zwischen den kirchlichen Anspruch der Feier und dem geĂŒbten Volksfest herauszustellen. Er befindet sich in seiner EinschĂ€tzung des Volksfestes ganz in der lutherischen Tradition, denn Martin Luther selbst meinte: âDerohalben christliche Obrigkeit von Amts wegen die Kirchweihen, solche sĂ€uisch GefrÀà und unordentlich Leben billig abschaffen und mit harter Strafe wehren soll, als ein solches Tun, das nichts Gutes jemals auskommen ist!â[7] Aber auch andernorts in der Dreieich wird von den Pfarrern krĂ€ftig gegen die Kerbfeiern geeifert. Besonders der in den Jahren 1558 bis 1584 in Langen amtierende Pfarrer Eucharius Zinkeysen wetterte krĂ€ftig gegen die KirchweihbrĂ€uche und anderen Tanzbelustigungen. Der reiche Schriftverkehr, den er an die Landesregierung, an den Grafen Wolfgang von Isenburg-Ronneburg-Kelsterbach, richtete, ist noch erhalten. 1568 beschwert sich Zinkeysen, daĂ den âEgelsbacher Tanzknechten zum Tanz 1 Gulden jĂ€hrlich zu vertrinken gereichtâ werde, die EntschĂ€digung fĂŒr den Pfarrer allerdings schon seit 10 Jahren ausblieb! Egelsbach gehörte damals zur Pfarrei Langen. An einer anderen Stelle schildert Zinkeysen auch die Tanzgewohnheiten dieser Zeit. So schreibt er 1578: âWie bei uns die TĂ€ntz
Ab Samstag, den 12.9.2015 ist âDas Handbuch fĂŒr den DitzebĂ€scher Kerbborschâ in der 1. Auflage erhĂ€ltlich. Dieses Handbuch informiert ĂŒber die DitzebĂ€scher Kerb und soll den amtierenden Kerbborsche helfen, die Kerb bestmöglich zu erleben. Man erfĂ€hrt, was von einem Kerbborsch erwartet wird bzw. was ihn erwartet. Zudem gibts ein wenig ĂŒber unsere Geschichte, unsere Rituale, Symbole, viele Tipps zur DurchfĂŒhrung der Kerb und einen Zeitplan zur möglichst reibungslosen Organisation. Das 60seitige Handbuch wird zum Selbstkostenpreis von 5,00⏠vom Parre Zottel direkt verkauft. Du kannst es auch beim Kerbverein ausleihen. Wenn du Interesse hast, melde dich unter info@kerbverein-dietzenbach.de Das Handbuch ist ausschlieĂlich zur Nutzung durch die amtierenden Kerbborsche Dietzenbach, den Kerbwirt und Vereinsmitglieder des Kerbvereins Dietzenbach e.V. bestimmt.
Dietzenbacher Kerb von Heinrich WeilmĂŒnster, Lina WeilmĂŒnster, Margret Beck Die Dietzenbacher Kirchweih (Kerb) war frĂŒher der Höhepunkt des Jahres. Es war die Zeit, zu der die Ernte schon eingefahren war und mitunter die letzten Kartoffel ausgemacht wurden. Die Bauern bestellten bereits die ersten Felder fĂŒr die FrĂŒhjahrssaat. In diesen Tagen waren die Vorbereitungen fĂŒr die Kerb in vollem Gange. Der Kerbputz stand in fast allen Familien im Vordergrund. Gardinen wurden gewaschen und gestĂ€rkt, Wohnungen wurden geputzt und gescheuert. Auf das Kerb- bzw. Tanzkleid freuten sich die jungen MĂ€dchen schon das ganze Jahr. Dann war es soweit: Ende Oktober, manchmal auch am ersten Sonntag im November, stand Dietzenbach ganz im Zeichen der Kerb. Damenfrisösen legten in den letzten Tagen oft Nachtschichten ein, um den Frauen und MĂ€dchen die Haare zu ondulieren. Einige Tage vor der Kerb spazierten die Metzgermeister mit einem geschmĂŒckten Ochsen durch das Dorf; dieser Kerbochs war Garant dafĂŒr, daĂ es auf der Dietzenbacher Kerb einen saftigen und krĂ€ftigen Braten gab. Wichtig war auch das Kuchenbacken. Die meisten Familien rĂŒhrten in ihren Backtrog 15 bis 20 Pfund Mehl ein. Bei vielen Familien kam der BĂ€cker persönlich ins Haus, um den Hefeteig zu machen, denn dieses groĂe Quantum schafften die meisten Hausfrauen nicht. Die Kerbburschen der Freien Turner Dietzenbachs 1926 Dann wurden Streuselkuchen (auf Dietzebacherisch Riwwelkouche), Apfel- (Ăppelkouche) und Quarkkuchen (KĂ€skouche) gebacken. Meistens fing die BĂ€ckerei schon Freitag nachts an und in den frĂŒhen Morgenstunden des Kerbsamstags duftete es in allen StraĂen und Gassen nach frischem Kuchen. Auch heute gibt es noch viele, meist Dietzenbacher, Frauen, die diese Tradition weiterfĂŒhren. Doch muĂ heute keine Kerb sein, um Kuchen zu backen. Am Samstag wurde die Kerb meistens angetrunken. Das bedeutete, daĂ die jungen Leute schon Samstags in die Lokale gingen, um dort die Geselligkeit zu pflegen. Auf dem Kerbplatz waren die Vorbereitungen fĂŒr den groĂen Rummel bereits beendet. Karuselle, SchieĂbuden, SĂŒĂwarenstĂ€nde, WĂŒrstchenbuden und FischverkĂ€ufer warteten auf die Besucher. Am Sonntag ging es dann richtig los. Fast jedes Lokal hatte seine eigenen Kerbburschen. Nach dem Umzug haben diese den Kerbbaum vor der Gastwirtschaft aufgesteckt. Mit einer passenden Kerbrede wurde alles glossiert, was im Laufe eines Jahres in Dietzenbach passiert war. Zum SchluĂ wurde mit einem Glas Wein oder Apfelwein auf die Kerb angestoĂen und einer dieser SprĂŒche klingt vielen Dietzenbachern noch heute in den Ohren: âWenn dieses GlĂ€schen nicht zerbricht, dann feiern wir unsre Kirchweih nicht.â Das gibt es wohl nie, daĂ ein Glas aus 5 m Höhe geworfen nicht zerbricht. Kerbburschen der Freien Turner Dietzenbachs im Jahr 1927 Kerbburschen des Gasthauses âZur Harmonieâ 1927, Arbeiter-Radfahrverein Kerbburschen vom Wingertsberg im Jahre 1946 mit TanzbĂ€r und BĂ€renfĂŒhrer Nach dem Anbringen des Kerbbaumes spielte die Musik zum Tanz auf. Auch die Ă€ltere Generation kam auf ihre Kosten. in den GasthĂ€usern spielten Stimmungskapellen und Zauberer fĂŒhrten ihre KunststĂŒcke vor. Auch die Bedienung hatte alle HĂ€nde voll zu tun: es wurde nicht nur getrunken, bei Rippchen und Kraut schmeckte das Bier nochmal so gut. Viele junge Leute tanzten und feierten die Nacht durch, denn der Kerbmontag war so gut wie ein Feiertag. Da ging es nochmals genauso rund. Die Kerbburschen zogen am frĂŒhen Morgen mit Musik und Gesang durch die StraĂen und wurden meistens mit Spenden entlohnt. Am folgenden Dienstag wurde in aller Form die Kerb zu Grabe getragen. Man weiĂ heute noch nicht, was in dem hellen WĂ€schekorb lag, ĂŒberdeckt mit einem weiĂen Leintuch. Wenn man als Kind fragte, was da drinnen sei, so lautete die Antwort: âDie Kerb! Die wird heute beerdigt, aber nĂ€chste Jahr kommt sie wieder.â Es kamen auch viele junge Burschen von auĂerhalb, die die Dietzenbacher Kerb besuchten und manch schönes MĂ€dchen kennen und lieben lernten, um dann nie mehr von hier wegzugehen. Ein bekanntes Sprichwort sagt: âWer einmal Dietzenbacher Wasser trank, geht nie mehr aus Dietzenbach fort.â Mit einem lachenden und einem weinenden Auge wurde am Kerbdienstag die Kerb begraben. Der âSeelsorgerâ auf dem Bild ist Kurt Hottes. Hinter dem Kreuz ist der Sarg zu sehen. Die Trauergemeinde ist zahlreich erschienen Ein TĂ€nzchen mit dem BĂ€ren am Kerbmontag Quelle: Aus eigener Kraft – BeitrĂ€ge zur Geschichte der Arbeiter-, Sport- und Kulturbewegung in Dietzenbach von Heinrich WeilmĂŒnster, Lina WeilmĂŒnster, Margret Beck
Jahreszeitliche Feste – Kindheit in Dietzenbach â zwischen dem 1. und 2. Weltkrieg Feste in einem Dorf gaben immer allen Feiernden Gelegenheiten, Neuigkeiten ausÂzutauschen, sich zu einem gemĂŒtlichen Beisammensein zu treffen und neue Kontakte zu schlieĂen. Presse, Rundfunk oder gar Fernsehen gab es nur eingeschrĂ€nkt bzw. noch ĂŒberhaupt nicht. Man war auf den âAusschellerâ angewiesen, der klingelnd durch das Dorf lief, um Neuigkeiten und GemeindeankĂŒndigungen bekannt zu geben. So boten Feste beliebte Möglichkeiten, der Kontaktaufnahme und des NeuigkeitenÂaustausches â auch mit Menschen aus den umliegenden Dörfern. Herr F. Die wichtigsten Feste waren die gesetzlichen Feiertage, wie Ostern, Pfingsten und Weihnachten. Die Kerb – auch Kirchweih genannt – war natĂŒrlich ein besonderes Fest! Da war in dem sonst so ruhigen Dietzenbach etwas los. Es kamen die KerbstĂ€nde, Karussell, und eine Schiffsschaukel war auch immer dabei. Besonders die hĂ€uslichen Vorbereitungen waren anstrengend. Da gab es einen guten Braten mit KlöĂen und Rotkraut. Der Kuchen wurde beim BĂ€cker gebacken. Da roch das ganze Dorf nach frischem Kuchen, denn jede Familie hatte etwas zu backen. Die Leute kamen mit dem Kuchenteig und dem Belag zum BĂ€cker. Der BĂ€cker oder das Hilfspersonal wogen die Teigmenge, gaben es auf ein Blech und wĂ€lzten es aus. Die Kunden taten den Belag darauf, versahen den Kuchen mit einem Namensschild und trugen ihn in die Backstube. Manche Leute machten kein Namensschild an den Kuchen, sondern markierten ihn mit einem Gegenstand, z.B. einer Nussschale. Wenn nun manchmal zwei Kunden dasselbe Zeichen verwendeten, dann konnte es schon einmal zum Streit kommen, wem welcher Kuchen gehörte. Das war teilweise sehr hektisch: manche mussten schon morgens um vier Uhr beim BĂ€cker sein, damit die Nachfolgenden auch noch rechtzeitig fertig wurden. An diesem Tag kam gewöhnlich sehr viel Besuch. Ich erinnere mich an die Verwandten und Bekannten, denen der Kuchen vorgesetzt wurde. Jeder hatte einen Teller und die KuchenstĂŒcke wurden in lĂ€ngliche Streifen geschnitten und wie ein Holzstapel aufeinander gesetzt. Der groĂe Teller kam in die Mitte des Tisches. Am Abend kam dann das Geschlachtete auf den Tisch, wenn denn schon geschlachtet war. Meist gab es Kartoffelsalat mit Wurst oder Eiern. FĂŒr die Jugend war in diesen Tagen besonders die Tanzmusik interessant. Am Kerbsonntag begann um 15.00 die Tanzmusik. Es gab viele Tanzlokale, die man besuchen konnte: die Harmonie, der âneue Löweâ, der Wingertsberg, der Milchhof, die âKroneâ. Hier konnte man Tanzen und sich vergnĂŒgen. Das Schöne an diesen Lokalen war, man brauchte keinen Eintritt zu bezahlen! Man ging hin, bezahlte fĂŒr den Tanz 10 Pfennig. Wenn man dann eine Gesellschaft gefunden hatte und es war ein gemĂŒtliches Beisammensein, so blieb man und kaufte sich ein TanzbĂ€ndchen. Diese gab es fĂŒr 1 Mark oder 1,50 Mark fĂŒr zwei Tage. Das steckte man sich ans Revers und brauchte dann keine 10 Pfennig mehr bezahlen. Meistens trug man an diesen Tagen auch stolz neue Kleidung â die Herren einen Anzug, die Frauen ein neues Tanzkleid. Ich besuchte diese Feste mit 14 Jahren, also nach meiner Schulzeit. Da saĂ man am Rand, schaute zu und es hieĂ immer: âIhr mĂŒsst euch die Ă€lteren MĂ€dchen suchen, die können meist schon besser tanzen.â Und wir wollten es ja lernen. Man ging auf die Tische zu, machte eine Verbeugung. Daraufhin wandten sich einige immer ab und die anderen tuschelten: âGucke emal da kimme die lschel widdr.â Trotzdem fanden wir immer welche und es wurde auch zu Hause mit meinen Schwestern tĂŒchtig geĂŒbt. Ăber den Kerbochsen: Am Montag vor der Kerb wurde der Kerbochse durch das Dorf gefĂŒhrt. Das ĂŒbernahm ein Metzger. Da wurde zwischenzeitlich angehalten, ein GesprĂ€ch gefĂŒhrt: âWas fĂŒr ein wunderbares Tier es diesmal wieder seiâ, Dazu reichte man gerne einen Apfelwein aus dem Fenster. Damit machte man den Leuten schon Geschmack auf den Kerbbraten. Mein Vater erzĂ€hlte, dass er frĂŒher im alten âLöwenâ Stammgast war. Hier spielten sie oft Karten. Etwas von dem Gewinn wurde immer in einen Sparkasten geworfen, der an der Wand hing. Dieser hatte viele Schlitze mit FĂ€chern. Zur Kerbzeit wurde der Kasten dann geöffnet, und jeder erhielt sein Erspartes. So hatte mein Vater sein Kerbgeld. Das war ein âFuchsâ, also ein GoldstĂŒck, das da zusammen kam. Besondere Anlass gerade fĂŒr Kinder: Die âKerbâ auf dem Harmonieplatz âKerbburschen auf dem Pferdefuhrwerk mit geschmĂŒcktem Kerbbaum, im alten âMilchhofâ in der Hammannsgasse Der Eismann zieht durch die StraĂen. In der DarmstĂ€dter StraĂe in der NĂ€he der âAlten Schuleâ Frau R. Der alte âLöweâ stand frĂŒher in der DarmstĂ€dter StraĂe, war das 2. Rathaus, in dem Familie Heberer nach einem Umbau eine Gastwirtschaft betrieb. Nach dem Neubau in der Rathenaustr. / LöwenstraĂe zog der âalte Löweâ dorthin um. Herr F. Meistens tranken wir Coca Cola und Wasser, Apfelwein. Aber an der Kerb probierte man auch schon mal ein Bier. Apfelwein fanden wir nicht so interessant, weil man das eh zu Hause hatte. Alle haben ja selbst gekeltert. So weit ich weiĂ, hat ein Bier damals 18 Pfennige gekostet. Das klingt nicht viel, aber das Geld war damals natĂŒrlich sehr knapp. Ăber das Jahr sparte man, damit man an der Kerb etwas Geld hatte. Eine Begebenheit fĂ€llt mir ein: Man war zwar an der Kerb immer echt fein gekleidet, aber die Besucher aus Heusenstamm waren immer noch feiner. Da war man schon etwas neidisch: Man sagte: âGucke emal, die sind zwar fein gekleidet, haben aber kein Geld in der Tasche. Die klimpern mit ihrem HausschlĂŒssel.â Man unterstellte den HeusenstĂ€mmern, sie wĂŒrden damit angeben wollen. ⊠Frau R. ⊠Zur Kerbzeit war es auch sehr schön: Donnerstags kamen schon die Kerbwagen, die Schausteller. Diese bauten ihre Wagen auf dem Harmonieplatz auf. Das war ein Erlebnis, denn wir durften bis âultimoâ um die âKerbwĂ€geâ spielen. Das war schön. Zur Kerb gab es meistens neue Kleider, ist dann – neu eingekleidet – zur Patin oder dem Patenonkel und hat sich das Kerbgeld geholt (20, 50 Pfennig oder 1 Mark, je nachdem wie betucht die einzelnen Familien waren). Wenn wir kein Geld hatten, aber in der âReitschuleâ Karussell fahren wollten, sind die Kinder immer, wenn der Aufseher nicht hinschaute, aufgesprungen und mitgefahren.
Die Zigeuner vom Hexenberg (Langener Wochenblatt von 2.5.1806) Zu Ende des sechzehnten Jahrhunderts hatten sich die gelbbraunen SchwĂ€rme der Zigeuner ĂŒber die meisten LĂ€nder Europas ausgebreitet. Der gemeine Mann betrachtete diese Kinder des Orients mit Furcht und MiĂtrauen; finsterer Aberglauben beherrschte damals noch die GemĂŒter, und kein Strahl des Lichts erhellte die geistige Nacht. Was Wunder also, wenn die Weiber der Zigeuner, im Geruche der Wahrsager- und Zauberkunst stehend, eine reichliche Ernte des Betruges hielten, wĂ€hrend die MĂ€nner durch Raub und Diebstahl ihren Unterhalt sich erwarben. In der zu Anfang angedeuteten Zeit hielt sich in der NĂ€he des Otzberges bei Umstadt eine Horde dieses Raubgesindels auf. Sie stand unter dem Befehl eines Hauptmanns, der durch seine List und TollkĂŒhnheit der Schrecken der Umgegend geworden war. An einem schönen Sommerabende war diese Bande in dem groĂen Walde nordöstlich von Umstadt gelagert. Die Gestalt der MĂ€nner war im allgemeinen schlank und hielt die Mitte zwischen groĂ und klein; jede ihrer Bewegungen zeugte von Kraft und Festigkeit. Die dunkelen Augen, das rabenschwarze Haar und der lange schwarze Bart, der, mit dem Kopfhaare in Verbindung stehend, ĂŒber Wange und Kinn auf die Brust herabfiel, gab ihnen ein finsteres, dĂŒsteres Ansehen. Ihre Kleidung war einfach; ein langer, leinener Ăberwurf, der bis ĂŒber das Knie reichte und in der Mitte des Leibes durch einen langen Riemen zusammengehalten wurde, machte den Hauptbestandteil derselben aus. Arme und Beine waren unbedeckt. Etwas zur Seite saĂen die MĂ€dchen und Frauen, deren Kleidung ebenfalls aus leinenen Röcken, bis auf den Knöchel reichend bestanden. Alle waren in lebhafter Unterredung, indem sie ĂŒber ĂŒberstandene Gefahren scherzten und sich kurzweilige Auftritte erzĂ€hlten. Der Hauptmann stand von diesen Gruppen etwas entfernt, gelehnt an eine Eiche und gestĂŒtzt auf eine schwere BĂŒchse. Ein aufgekrĂ€mpfter Hut deckte sein Haupt, und sein tiefbraunes Gesicht, wie seine dunkeln, blitzenden Augen, konnte niemand ohne Grauen anschauen. Er sah sinnend auf seine GefĂ€hrten und schien zu ĂŒberlegen, welche Unternehmungen er den folgenden Tag ins Werk setzen wollte. Da rauschte es plötzlich durch das Dickicht; er fuhr auf und sah wild nach der Gegend des GerĂ€usches. Das vordere GebĂŒsch ward auseinander gebogen, und eine auĂergewöhnlich hohe Zigeunerin, die sich wahrscheinlich etwas verspĂ€tet hatte, kam zum Vorschein; sie war hochbejahrt und hatte dem Anscheine nach mehr als ein Menschenalter durchlebt; auch stand sie bei der ganzen Horde in hohem Ansehen, weil sie vorzugsweise die Gabe besaĂ, in die Zukunft zu schauen, weshalb sie auch der Hauptmann stets mit Achtung behandelte. Ganz erschöpft und von SchweiĂ triefend, trat sie hastig vor denselben. âGroĂer Hauptmann!â sprach sie, âes drĂ€ut uns Gefahr.â âWoher soll diese kommen?â entgegnete der Angeredete ruhig – âsprich Henni! Was hast du gesehen, was Neues gehört?â âIch habe viel gehört und gesehen,â erwiderte die Gefragte. âAch, es ist mir bange um uns! In Umstadt herrschte den ganzen Tag groĂe Bewegung; einzelne Reiter und FuĂknechte, sowie bewaffnetes Landvolk, sah ich von allen Seiten herbeieilen. Ăberall begegnete ich nur drohenden Blicken, und nicht viel fehlte, so hĂ€tten mich die Gassenbuben mit Steinen todtgeworfen.â In des Hauptmanns Auge blitzte ein unheimliches Feuer; seine Blicke schweiften einige mal ĂŒber seine GefĂ€hrten, die sich schon teilweise um ihn gestellt hatten. Die MĂ€nner griffen mutig nach ihren Waffen, wĂ€hrend sich die Weiber und MĂ€dchen Ă€ngstlich zusammenscharten und bei dem leisesten GerĂ€usch erschreckten. âHaltet Euch mutig, meine GefĂ€hrten,â sagte der Hauptmann in ernstem Tone. âWerden wir angegriffen, so kĂ€mpft tapfer; streitet fĂŒr Euer Leben und Eure Freiheit, fĂŒr Weib und Kind.â Diese Rede erhöhte den Mut der Söhne des Waldes, und der Zug setzte sich nach einigen Minuten still und ernst in Bewegung. â Eben kam des Mondes volle Scheibe am östlichen Himmel zum Vorschein, mit bleichem Scheine die nahen HĂŒgel beleuchtend, als die Zigeuner auf einmal durch ein nahes GerĂ€usch zum Stillstand bewogen wurden. Plötzlich knallten von allen Seiten HakenbĂŒchsen, Kugeln zischten und Bolzen schwirren; sie waren ĂŒberfallen. âDurch! nach den TĂ€lern des Odenwaldes!âdonnerte der Hauptmann. Wie der Tiger, dem man seine Beute zu entreiĂen trachtet, stĂŒrzten sich die Söhne des Waldes mit geschwungenem Schwerte auf den nĂ€chsten Haufen der Angreifer und durchbrachen ihn, aber eine Schar der Christen stĂŒrzte sich unter furchtbarem Gemetzel unter die Zigeuner. Der Hauptmann, von allen Seiten umringt, wehrte sich eines Helden wĂŒrdig und sein Beispiel feuerte seine Untergebenen zu Ă€hnlichen Anstrengungen an. Schon lieĂen die Christen in ihrer Heftigkeit nach, als gleich einem vernichtenden Orkane ein Zug Schwergeharnischter daherbrauste. Schwerter blitzten im Mondschein, um Tod und Verderben zu bringen. Da löste sich die ganze Zigeunerhorde in wilde Flucht auf. Wie ein Rasender brach sich der Hauptmann Bahn und verschwand im GebĂŒsche. – Am folgenden Morgen zog die lange, hagere Gestalt einer Zigeunerin ganz allein, einen Esel am Stricke fĂŒhrend, durch den Wald in der NĂ€he von Urberach; es war Henni, die dem nĂ€chtlichen Blutbade glĂŒcklich zu entrinnen Gelegenheit gefunden hatte. SchwermĂŒtig schweiften ihr Blicke umher, aber noch herrschte die DĂ€mmerung und verbarg unter ihrem grauen Schleier die entfernteren GegenstĂ€nde. Als das Gestirn des Tages jedoch am Saume des Horizontes erglĂ€nzte, gewahrte sie in einiger Entfernung drei HĂŒgel. Sie lenkte ihre Schritte nach dieser Gegend und fand zwischen dem ersten und zweiten HĂŒgel ein Tal, das von zwei Seiten durch dichten Wald begrenzt wurde. Hier konnte sie ruhig Halt machen; von zwei Seiten schĂŒtzen sie die HĂŒgel und von zwei Seiten der Wald. Die Decke dieses von der Natur gebildeten Gemaches war das blaue Himmelszelt. Trotz ihres Alters bestieg sie noch rĂŒstig den HĂŒgel, nachdem sie zuvor ihren Esel angebunden hatte. Die Höhe gewĂ€hrte eine herrliche Aussicht nach den blauen Bergen des Taunus, auĂerdem gewahrte die Alte noch einige Dorfschaften, die ganz in der NĂ€he lagen. Kurze Zeit hierauf sah man in den Dörfern in der NĂ€he Frankfurts die Ehrfurcht gebietende Gestalt einer Zigeunerin daherschreiten, die dem Landvolk fĂŒr Spenden an Nahrung und dergleichen die Zukunft enthĂŒllte und bei Alt und Jung in hohem Ansehen stand. Niemand wagte, sie zu beleidigen, aus Furcht, sie möchte vermittelst ihrer ZauberkĂŒnste Menschen und Vieh Schaden zufĂŒgen. Lange blieb der Ort ihres Aufenthaltes ein Geheimnis, denn
Wem is die Kerb? – Unser! Von Frank Oppermann Wohl kaum ein anderer Schlachtruf wie die immer wieder lautstark und selbstbewuĂt in die Menschenmenge des Volksfestes gerufene scheinbare Frage der Kerbburschen âwem ist die Kerb?â und die darauf auch gleich von denselben Burschen noch lautstarker gegebene Antwort âunser!â, zeigt Bedeutung und Wandel von öffentlichen Festen besser auf als dieser Spruch. Der jeweilige Jahrgang der zum MilitĂ€r einrĂŒckenden jungen MĂ€nner bestimmte das Kerbgeschehen, âihnen war die Kerbâ, sie tanzten am meisten, sie tranken am meisten und sie organisierten sich, um die Musikkapelle zu bezahlen, um das örtliche Geschehen des vergangenen Jahres zu persiïŹieren und um die Kerb mit vielerlei Aktionen auszugestalten. Und wehe, wenn eine andere Jahrgangsgruppe oder gar Burschen aus benachbarten Orten die Beantwortung dieser Frage ĂŒbernahmen, so war dies oft genug Signal fĂŒr eine Massenrauferei. Wichtigste Voraussetzung dieser KerbbrĂ€uche war eine sich stĂŒtzende und sich auch andererseits kontrollierende soziale Dorfgemeinschaft, mit von allen akzeptierten oder zumindest mitgetragenen Verhaltensregeln. Obwohl der religiöse Bezug der Kirchweihfeste – falls ĂŒberhaupt je vorhanden – sich relativ frĂŒh, wohl schon im Mittelalter, löste, blieb die Sozialverbindlichkeit der Kerb als das einzige öffentliche Fest einer Gemeinschaft lange erhalten. (âDie Kerb ist unser!â) Sie war das verbindliche Ergebnis einer Ortsgemeinschaft, zu dem auswĂ€rtige Verwandte eingeladen wurden, nicht mehr am Ort wohnende BĂŒrger zu Besuch kamen; sie war der öffentliche Treffpunkt der Jugend dieser Gemeinschaft schlechthin, der Heiratsmarkt, Nachrichtenbörse und gemeinschaftliches aktives Feiern gleichermaĂen darstellte. Doch dies hat sich heute geĂ€ndert. Mit einem Wandel unseres gesellschaftlichen Wertesystems ist die Kerb nicht mehr das was sie war und zu einem unter vielen Volksfesten degradiert. Die Rolle der heutigen dörflichen oder kleinstĂ€dtischen Ăffentlichkeit beschrĂ€nkt sich auf passives Zusehen oder Konsumieren. Nur noch ein verschwindend geringer Prozentsatz der Bevölkerung eines Ortes nimmt ĂŒberhaupt am Kerbgeschehen teil. Das Verlagern gesellschaftlicher Verhaltensweisen in andere Gebiete (Fernsehen, Urlaub, Diskothek), ein Ăberangebot an Unterhaltungsmöglichkeiten gerade bei den groĂen Volksfesten in unserer Region (WĂ€ldchestag Frankfurt, Heinerfest Darmstadt, Ebbelwoifest Langen), die fast nicht mehr zu ĂŒberblickenden, jĂ€hrlich wiederkehrenden Kultur- und Stadtteilfeste (âAltstadtfestâ in Neu-Isenburg, âHooschebaaâ-Fest in Sprendlingen, âWeiberkerbâ, âTöpfermarktâ und âBurgfestâ in Dreieichenhain, âBachgassenmarktâ in Langen, Historische MĂ€rkte und Weinfeste andernorts) und unzĂ€hlige StraĂenfeste, Vereinsabende und Nachbarschaftsgrillparties haben die Kerb ihrer ursprĂŒnglichen Funktion beraubt. Ihre alten BrĂ€uche und Riten muten der modernen Gesellschaft wie ein MĂ€rchen von âanno-schon-eâ-malsâ an. Die Kerb ist nicht mehr âunserâ- sie ist lediglich ihren wenigen Organisatoren. Dies wird oft genug als MiĂstand empfunden. Die Kerb wird zwar in allen Orten des Dreieichgebietes mit âSchausteller- und VergnĂŒgungsparksâ begangen, aber eine sich aus einer alten örtlichen Sozialstruktur wie selbstverstĂ€ndlich jĂ€hrlich neu rekrutierenden Kerbburschengruppe gibt es nur noch in Dreieichenhain und Egelsbach. ln Langen und Götzenhain haben sich Kerbvereine gebildet, um die jĂ€hrliche Kerb mit traditionellen BrĂ€uchen auszugestalten. Wohl unbewuĂt arbeiten sie hier an einem kleinen Aspekt eines ĂŒbergreifenden gesamtkulturellen Problems. Der Entfremdung und der Austauschbarkeit des Einzelnen und der Kleingruppe innerhalb der Industriegesellschaft und die Ă€uĂerst geringen Möglichkeiten an aktiver Mitgestaltung des kulturellen und gesellschaftlichen Umfeldes stehen die praktizierten historischen BrĂ€uche der örtlichen Kirchweihfesten gegenĂŒber, die wiederum letztlich auch Versuche sind, eine mitbeeinfluĂbare lokale IdentitĂ€t herzustellen. ⊠Quelle: Landschaft Dreieich 1989
Interview mit Arthur Keim vom MĂ€rz 2013 von Uwe Schmedemann (Parra Zottel) Arthur Keim ist heute der Ă€lteste noch lebende Kerbborsch von der Harmonie. Er ist 1927 geboren und war 1948 Kerbborsch. Heute ist er 86 Jahr alt und hat mich in seinen Keller entfĂŒhrt. Arthur Keim hat viel zu dem kulturellen Leben in Dietzenbach beigetragen. Sein Keller ist voll mit Bildern, Noten, Texten, Fastnachtsprogrammen und Sitzungen. Es ist unglaublich, was er alles aufgehoben hat. Am 01.MĂ€rz .2013 habe ich mit ihm ĂŒber die alten Zeiten geplaudert. Es war sehr lustig, da Arthur sehr sprunghaft ist. Im Folgenden habe ich unser GesprĂ€ch, in dem es hauptsĂ€chlich um die Dietzenbach Kerb ging, zusammengeschrieben. Ich habe lange ĂŒberlegt, ob ich seine Antworten ins Hochdeutsche ĂŒbersetze, aber ich glaube Arthur wĂ€re nicht Arthur, wenn ich das tĂ€te. U: ErzĂ€hl mir doch mal etwas ĂŒber deine Kerberlebnisse 1948. A: Die Kerb 1948 war ein einmalisch. Alles war gut, die Leut worn froh, daĂ de Kriech und die WĂ€hrung rum worn. Mir hatte en groĂe Ziehwache, da habe mer alles druffgelaade – was die uns all die Leit alles geschenkt hawwe – die hawwe sich so gefreit. Des war einmalisch – des war a Erlebnis – es gab alles was mer hawwe wollte⊠Ich hab dann vor de Harmonie gestanne, a Leidder nuff un hab gerufe: âWem is die Kerb? â unser!â – âKummerad schenk ein, es muss einmal getrunken sein. âŠâ. â… wenn dieses GlĂ€schen nicht zerbricht, dann feiern wir unsre Kirchweih nichtâŠâ. âWem is die Kerb? – unser vom Nawwel bis zum Brunser un der ist unserâ U: Gab es damals auch so etwas wie eine Kerbbobb? A: Die Kerbbobb hawwe mer zusamme selbstgebaut. Als Gesicht hawwe mer der Bobb so a Laff (Mask von der Fassenacht) druff gesetzt. Die Kerbbobb hawwe donn in de erste Stock in de Hammonie – nĂ€we droa – da is so a Stang noch, dra gemacht. U: Wurde die Kerbbobb auch mal von anderen Burschen gestohlen und musste ausgelöst werden? A: Kerbbobbe wurde bei uns nett. So was hat er nicht erlebt. U: Habt ihr die Kerb verbrannt oder vergraben? A: Mir hawwe fer unser Kerbbobb en Sarsch gebaut und den hawwe mer an de Harmonie verbrennt. U: Hattet ihr vor der Harmonie eine Kerbbaum aufgestellt? A: Mir hatte en Kerbbaum, so’n Meter hoch. An de Harmonie, vorne im erste Stock, da hawwe mer a Laader hingestellt, do bin ich anuff gekrebbelt unn hab von owwe de Kerbbaum befesitischt. U: Gab es bei euch einen Kerbparre? A: De Hottes war unser Kerbparre. Der hat auch die Kerbpredigt gehalte. Dess woar friher moin Nachbar, de Hottes hot der geheise. Der hat in de BabehĂ€user Stros damals gewohnt. Do wor die Schreinerei Spielmann war. Do wor doch die BĂ€ckerei MautĂ©, wasste des noch? U: Was habt ihr wĂ€hrend der Kerb so angestellt? A: Mir sin so rum gezoche … in de Harmonie ham mer meistens gefeiert – dann sinn mer in Linde unn sinn in de Löwe – dann ĂŒwerrall rum. Die Wertschaffte – da wor ja – was hat’n Ditzebach fer Wertschaffte gehabbt 48? Da woar des Kinno noch do, de Hofferbert un der hot ach a Kneip unn die Wolfsschlucht – un de Deckmann und de Löwe , Dess iss alles nett mehr da, un im Löwe is aach nix mehr los, ferdisch gell. Lieder hawwe mer viele gesunge: â Es welken alle BlĂ€tter, sie fallen alle ab – uff die Kerb. Unn mein Schatz hat hat mich verlassen und mein Schatz hat hat mich verlassen ist Jahre lang schon fort. Iss Jahre lang schon fort Ins Kloster wollt sie gehen, U: Auf den Fotos von 1948 sieht man einen BĂ€ren, ein Mann mit groĂem Schlapphut und ein als MĂ€dchen verkleideter Kerl. Was hatte es damit auf sich? A: Einen BĂ€r habe wir gemacht, der lebt aach nett mehr – der woar vun de Diebojer – waste wo die Diebojer aus de Borngass â Fenchel. Der BĂ€r war der Fenchel (Diebojer). Der Diebojer hatte 14(?) Kinder und noch 2 newe her. Der Mann mit dem Schlapphut. Das war der Schorsch JĂŒnger, der lebt aach nett mehr. Des MĂ€dche hat de JĂŒnger gemocht. U: Kannst du mir noch was aus deiner Kindheit ĂŒber die Kerb erzĂ€hlen? A: Ich bin 1927 geboren, 1933 is de Hitler drann gekommen da bin ich in die Schul gegangen. Was vorher war, dess kann ich nett erzĂ€hle. Dess is schwer zu soache, do is ja kaaner mer doo. U: Hattet ihr KerbkrĂ€nze? A: Mir hawwe ach KerbkrĂ€nz gebunne. Vor jedem Wirtshaus hing so n Kranz. Wir warn damals in der Harmonie, da hawwe mer en Kranz gebunne un drausse uffgehĂ€ngt. U: Wie habt ihr Kerbborsche euch damals kennengelernt? A: Wir warn all Handballer – wir warn ja lange im Milchhof, in de Harmonie gewese. Dess war einmalisch dort, auch im Saal hinne. U: Gab es jemanden, der Euch angestiftet hat, Kerbborsch zu machen? A: Es war niemand da, der gesagt hat – Ihr seit jetzt Kerbborsche – Wir hawwe des von uns aus gemacht. Es war immer en anderer Jahrgang, awer ich hab des lang gemacht. Ich hab auch viele Kerbrede gehalte. U: Hat euch jemand gesagt, was ihr als Kerbborsch tun sollt/ mĂŒsst? A: Nein, dess ging ja nach Talent. Ich hab mir Notize gemach, dass ich so was wie a Kerbrede halte konnt. U: Gab es auch wĂ€hrend des Kriegs eine Kerb? A: WĂ€hrend des Kriegs bis 47gab’s keine Kerb. Es war ja nix da! Mir hawwe gehamstert. Sind iwwerall rumgefoarn Damals warn mer Dorf, mit Wiesen und Felder. Meine Mudder hat de Bauern geholfe. Wir hatten auch Ăcker gehabt. Da hawwe die Bauer gepflĂŒcht. Wir hatte a BaumstĂŒck mit Ăbbel gehabt, die hawwes e uns geklaut, hawwe se abgesĂ€scht. Da gibts auch a Anekdote: Wir hawwe mol annen erwischt, der die Ăbbel geklaut hat. Da hawwe mer de Bolizei Bescheid gesacht, was mer donn mache solle? Un des warn Diebojer, en Diebojer Christian – die hawwe in de Borngass
Kerbvadder / Kerbmodder Sie sind natĂŒrlich nicht die Eltern der Borsche, aber fĂŒhlen sich fĂŒr ihre anvertraute Brut wĂ€hrend der Kerb und deren Vorbereitungszeit fĂŒr sie verantwortlich. Sie haben immer ein heimeliges PlĂ€tzchen fĂŒr die ausgezehrten oder abgestĂŒrzten Borsche. Sie versorgen sie mit nahrhaftem Essen und stehen ihnen immer mit Rat und Tat zur Seite. In der heutigen Zeit ĂŒbernehmen meist Wirtsleute diese anspruchsvolle Rolle. FrĂŒher haben dies teilweise die leiblichen Eltern eines Kerbborschen ĂŒbernommen. Horst Buch (1980) und Marion und Ralf Ravensberger (2009). Allesamt waren sie Wirte in der Licher Pilsstube Kerbparre Es ist der geistige AnfĂŒhrer der Kerbborschen. Er wird wĂ€hrend der Kerbvorbereitungszeit von den Borschen gewĂ€hlt. Gut, es kommt auch vor, dass er einfach von ihnen bestimmt wird, aber wichtig ist eigentlich nur, dass es einen gibt. Der Parre hat am Freitag die Aufgabe die Kerbrede zu halten und die Kerbbobb zu taufen. In dieser Rede fasst er zusammen, was in Dietzenbach im letzten Jahr so los wahr. Dabei bekommt bestimmt jeder sein Fett weg. Zum Abschluss steigt bewaffnet mit einem Schnaps auf eine Leiter und verkĂŒndet mit folgendem Spruch die Kerb als eröffnet: âDie Sonne geht im Osten auf und geht im Westen unter ich binn die Laider nuffgestiehe und stei se aach wieder nunner doch wenn dies GlĂ€schen nicht zerbricht feiern wir unser Kirchweih nicht. Hoch ist der Himmel, klein ist das Loch dick ist der Stempel, anoi muĂ er dochâ Arthur Keim (1948) Dann trinkt er das GlĂ€schen aus und zerschmettert es. Er steigt von der Leiter und stimmt zusammen mit den Kerbborschen das Dietzenbacher Kerblied an. WĂ€hrend der Kerb leitet er die Aktionen der Kerbborschen Zum Abschluss der Kerb findet Dienstags traditionell die Kerbverbrennung statt. In diesem Rahmen hĂ€lt der Parre die sogenannte Grabredd. In dieser Rede lĂ€sst er die Kerb Revue passieren und erzĂ€hlt so einige Anekdoten. Falls es Kerbborschen-AnwĂ€rter fĂŒr das nĂ€chste Jahr gibt, werde sie mit KlobĂŒrste und Wasser eingesegnet. AnschlieĂend trĂ€gt der Parre die Dietzenbacher Version der Bergpredigt vor. Zum krönenden Abschluss richtet er seine weisen Worte an die Kerbbobb. Diese wurde bereits am Nachmittag vom Baum geholt und sieht bereits auf dem âScheiterhaufenâ wartend, ihrem Ende entgegen. Er zĂŒndet den Scheiterhaufen an und alle Kerbborsche weinen um das Ende der Kerb. vorher, nachher Kerbparre von Rainer Rill(1979), Rainer Rill, Peter Maul und Reiner Wagner(2004), Markus Rill (2006), Benny Heidenreich (2007), Manuel Sundt (2008), Uwe Schmedemann und Marco Krebs (Fahnenjahrgang 2012) BembeltrĂ€ger Der BembeltrĂ€ger oder frĂŒher Munschank (es können bei groĂen Gruppen auch mehrere sein) ist verantwortlich fĂŒr das Wohlbefinden auf Touren oder âAuĂen-EinsĂ€tzenâ. Er fĂŒhrt stets einen gut gefĂŒllten Bembel mit sich. Seine wichtigste Aufgabe ist es, dass dieser nie leer wird. Das bedeutet, dass z.B. bei der Kneipentour der Wirt, bei dem man sich befindet, angehalten wird, den Bembel vor dem Verlassen des Wirtshauses aufzufĂŒllen. FahnentrĂ€ger Er trĂ€gt die Fahne des Kerbborschenjahrgangs, die z.B. das Motto des Jahrgangs unterstreicht. Ehrenkerbborsch Der Ehrenkerbborsch oder der Schirmherr wird von den Kerbborsche zusammen mit dem Vereinsvorstand ernannt. Es ist in der Regel ein Mann, der dem Verein oder der aktuellen Kerb einen groĂen Dienst erwiesen hat. Oft wurde diese Ehre z.B. dem amtierenden BĂŒrgermeister verleihen, sofern er sich fĂŒr diese Tradition mit allen KrĂ€ften einsetzt. Der zu Ehrende muss an der Kerbansprache in schwarzer Hose und weiĂem Hemd erscheinen. Der Kerbparre ehrt ihn in einer kurzen Ansprache und legt ihm den traditionellen Hut und eine grĂŒne SchĂ€rpe an. AnschlieĂend wird er vom Kerbparre gesegnet. WĂ€hrend der Kerbzeit sollte er sich mit diesen Kerbattributen schmĂŒcken, dass es auch ein jeder sieht. Gefolge Das Gefolge besteht aus der Zischeunern, dem BĂ€ren und seiner Dompteuse. Das Gefolge unterstĂŒtzt die Kerbborsche bei ihren AktivitĂ€ten. Gerade beim FrĂŒhstĂŒck einholen spielen sie eine Hauptrolle Zischeunern Die Dietzenbacher hatten frĂŒher angeblich dunklere Haut als die Menschen in den anderen Dörfern und dazu schwarzes Haar. Das soll der Grund dafĂŒr sein, dass die Dietzenbacher von den Menschen aus den Nachbardörfern âZischeunerâ tituliert wurden. Ein weiterer Grund könnte sein, dass Dietzenbach zusammen mit Dudenhofen die einzigen protestantischen Dörfer im damaligen âRod-Gauâ (Ein Untergau des Main-Gau) waren. FĂŒr die Katholiken waren die Protestanten âHeidenâ (UnglĂ€ubige). Und Heiden wurden damals mit Zischeunern in einen Topf geworfen. Ăbrigens lautet das dialektische Wort fĂŒr Heiden in unserer Gegend âHareâ. Auch das ist eine Titulierung fĂŒr uns Dietzenbacher. Es gibt noch viele Geschichten zu diesem Thema. Aber lange Rede kurzer Sinn: Wir Dietzenbacher haben eine gewisse AffinitĂ€t zu dem Wort Zischeuner. Die Kerbborsche haben seit nachweislich 1948 in ihrem Gefolge eine Zischeunern. Der Grund dafĂŒr könnte auch diese Sage sein: âZigeuner hat es Ende des 16. Jahrhunderts auch nach Umstadt in den Odenwald verschlagen. Dort lasen die Frauen den Dorfbewohnern die Zukunft und die MĂ€nner ĂŒberfielen als Banden das eine oder andere Gut. Eines Tages rĂŒsteten sich die christlichen Dorfbewohner und griffen nachts die Zigeuner an. Eine junge groĂgewachsene Zischeunern namens âHenniâ konnte zusammen mit ihrem Esel dem Gemetzel entkommen. Durch den Wald kam ĂŒber Urberach auf einen HĂŒgel. Dort lebte sie alleine viele Jahre. Sie kam zum Zukunftslesen und Heilen regelmĂ€Ăig nach Dietzenbach. Die Menschen achteten die charismatische Zischeunern sehr und gaben ihr fĂŒr ihre Weissagungen Essen und Dinge fĂŒr das tĂ€gliche Leben. Aber keiner wusste wo sie lebte. Bis ihr eines Nachts der hiesige Förster folgte. Bald darauf kannten die Dietzenbacher ihren Lagerplatz. Sie besuchten die Zischeunern oft, holten Rat und versorgten sie. Aber eines Tages war sie verschwunden. Noch viele Jahre spĂ€ter sprachen die Menschen, die den HĂŒgel aus der Ferne sahen, von dem Berg auf dem die Hexe wohnte. Seitdem trĂ€gt der HĂŒgel den Namen Hexenberg. Quelle: Zusammenfassung aus einem Artikel des Langener Wochenblatts Nr. 18 vom 2. Mai 1862 Wahrscheinlich angelehnt an diese Sage lĂ€uft in Dietzenbach die Zischeunern am Kerbsamstagmorgen mit den Kerbborsche durch die Altstadt. Dort erbettelt sie das FrĂŒhstĂŒck fĂŒr sich, die Kerbborsche und das restliche Gefolge. Die Zischeunern begleitet die Kerbborsche auch wĂ€hrend der Kerbzeit bei den Touren ĂŒber den Kerbplatz. BĂ€r und Dompteuse Der BĂ€r symbolisiert die frĂŒher auf Kirchweihfesten ĂŒblichen TanzbĂ€ren. Dass
Die Symbole unserer Kerb sind der Kerbbaum, der Kerbkranz von MĂ€nnerhand, gewickelt aus Selleriekraut und behĂ€ngt mit bunten BĂ€ndern und der Kerbbobb. Selbige ist von MĂ€nnerhand aus Stroh und Heu ordentlich bekleidet herzustellen und dient als Wahrzeichen und Schutzpatron der Kerb und des jeweiligen Kerbjahrgangs. Der Kerbbaum Mittags am Kerbfreitag fahren die Kerbborsche in den Wald und fĂ€llen eine möglichst gerade gewachsene Fichte von ca. 10-20 m. Beim FĂ€llen darf die Fichte nicht zerbrechen. Besonders die empfindliche Krone muss erhalten bleiben. Der Rest des Stammes wird entastet. Der so preparierte Kerbbaum wird z.B. Traktor und Rolle unter viel Gesang der Borsche durch die Stadt zum Aufstellplatz gebracht. Dort angekommen sollte er möglichst durch reine Manneskraft mit Hilfe von Stangen und Seilen aufgestellt werden. Traditionell gibt es nach der schweren Arbeit ein gepflegtes Bier und lecker Erbsesupp fĂŒr alle Beteiligten. Der Kerbkranz Der Kerbkranz wird von MĂ€nnerhand aus Selleriekraut gewickelt und mit bunten BĂ€ndern behĂ€ngt. Die spezielle Technik des Kranzbindens kennen in unsere Stadt leider nur noch wenige Altkerbborschen. Die Kerbbobb Die Kerbbobb wird 2 Wochen vor der Kerb von ihren Kerbborschen, bei gleichsamen ĂŒben des Kerbliedgutes, gebaut. UnterstĂŒtzt durch deftige Speisung meist in Form von Hausmacher Wurst und HandkĂ€se. Als geeignetes GetrĂ€nk dient natĂŒrlich passend zur Jahreszeit Soise, Rausche und Ăbbelwoi. Gegen das ein oder andere SchnĂ€pschen ist auf Grund der AuĂentemperaturen nichts einzuwenden. Sodann wird die Kerbbobb im Dunkeln unter Verschluss gebracht und vor fremden Einblicken geschĂŒtzt. Auch wird an diesem Tag der passende Name zum Aussehen der Kerbbobb ĂŒberlegt. Der Name sowie die Bobb werden bis zum Kerbantrinken geheim gehalten. Die Kerbbobb ist das Heiligtum des Kerbborschenjahrgangs und steht natĂŒrlich unter dessen Schutz. So unterliegt dieses Brauchtum festen Regeln. Die Kerbbobb ist so am Kerbbaum anzubringen, dass es etwaligen ĂbeltĂ€tern schwer fĂ€llt sie von dort zu entfĂŒhren. Ist ein Stellen des Kerbbaums nicht möglich, muss jedoch zu mindestens der Kranz aufgehĂ€ngt sein, so dass darunter die Kerbbobb auf ihrem Stuhl ihren Platz findet. Taufe und Bekanntgabe des Namens der Kerbbobb beim Kerbantrinken Die EntfĂŒhrung der Kerbbobb erfolgt niemals durch am Kerbjahrgang beteiligte Personen. Der Klau darf nur von maximal 3 Personen begangen werden. Zum Diebstahl dĂŒrfen keine technischen und mechanischen Hilfsmittel benutzt werden. Wird man bei der Tat entdeckt, so muss unbedingt davon abgelassen werden. Ist die Tat geglĂŒckt, so darf vom jeweiligen Kerbjahrgang oder dessen Wirt eine Auslöse gefordert werden, die entsprechend der Personenzahl in Speis und Trank ausgegeben wird. Die Kerbbobb darf in keinem Fall Schaden nehmen und muss nach Einigung in ordnungsgemĂ€Ăen Zustand wieder zurĂŒckgegeben werden. Keinesfalls darf sie eigenmĂ€chtig vernichtet werden. Die Vernichtung der Kerbbobb wird als Frevel und Ehrverletzung betrachtet und dementsprechend geahndet. Die Kerbbobb ist Eigentum der Kerbborsche oder des Kerbvereins. Die Kerbbobb wird vom jeweiligen Kerbparre zu Grabe getragen und somit symbolisch dem Feuer zugefĂŒhrt. Diese Zeremonie darf nur durch den jeweiligen Kerbparre durchgefĂŒhrt werden. Sollte es keinen Kerbparre geben, bestimmt der Kerbverein eine geeignete Person dafĂŒr. Zuwiderhandler sollen mit Schimpf und Schande aus dem Ort getrieben werden. Niederschrift der Ăberlieferung: 06.04.2012 durch 1. Vorsitzenden Peter Maul
Leider sind unsere Traditionen meist nur mĂŒndlich ĂŒberliefert. Hier findet ihr Ăberlieferungen, die fleiĂige Menschen in der letzten Zeit zu Papier gebracht haben. Wir sind aber dabei diese zusammenzutragen und werden sie veröffentlichen. Damit ihr aber nicht ewig warten mĂŒsst, bis das Gesamtwerk fertiggestellt ist, werden wir euch diesen „unfertigen Bereich“ jetzt schon zugĂ€nglich machen. Falls euch auch Ăberlieferungen bekannt sind, oder ihr Fehler entdeckt, könnt ihr euch natĂŒrlich jederzeit bei uns melden. Symbole unserer Kerb –> ReprĂ€sentanten und WĂŒrdentrĂ€ger –> Rituale –>
âDietzebĂ€cher Kerbâ Hedi WeilmĂŒster erzĂ€hlt ĂŒber die alten Zeiten… âWenn wir so zurĂŒckblicken, wie es frĂŒher war, gibt’s keinen Vergleich mehr, ganz klar. Die âKerb“ war der höchste Feiertag im Ort, es blieb keiner daheim, drei Tag ging’s fort, aber bis es soweit war mit de âKerb“, oh jeh, in jedem Haus hat man die Frauen beim âKerbputz“ geseh‘, denn viel Verwandtschaft hatte sich zum Besuch angemeld. Es ganze Haus wurde uff de Kopp gestellt. FĂŒr die Weibsleut war’s in der âKerbwoch“ auch eine Tour, denn âin der Reih“ sein muĂte die Frisur; schon ganz frĂŒh im Morgengraun standen in Schlangen beim Friseur die Frau’n. Am Kerbsamstag ging’s dann beim BĂ€cker hoch her, Bleche voll Kerbkuche wurden heimgetragen, der schmeckte sehr. Auch beim Metzger ging es rund, ganze Berge Fleisch, ach wieviel Pfund wurden an Kerb so verkonsumiert. Aber der âKerbochs“ wurde vor’m Schlachten erst durch’s Dorf gefĂŒhrt. Samstagabend ging’s dann schon zum Tanzen fort, bei 3000 Einwohner waren sieben SĂ€le im Ort; man konnte sich in der Turnhalle, im âLöwen“ und im âMilchhof“ zum Tanz einfinde ebenso auf dem Wingertsberg, in der âHarmonie“, âKron“ und âLinde“. Und alle SĂ€le waren gestoppte voll, die âKerb“ wurde angetrunken, es war toll, natĂŒrlich bekamen die Frauen, lange vorher schon ein neues Kerbkleid, dies war Tradition. Sonntags nachmittags mit Kind und Kegel es auf den Kerbplatz ging; an jedem Wirtshaus ein ausgestopfter âKerbborsch“ hing; Ein Kerbbaum war natĂŒrlich auch gesteckt, und die âKerbborsche“ hatten eine âKerbredd“ ausgeheckt; doch dies war fĂŒr manche nicht immer ’ne Freud denn âauf die Schipp“ genomme hawe se die Leut. Sonntags abends waren SĂ€le und Wirtschafte wieder voll bis âhinnewitt“. Rippche und Kraut gab’s und Ăppelwoi nach alter Sitt‘. Das âKerblied wurde gesunge, Stimmung herrschte bis morgens frĂŒh; gar mancher konnte net mehr grad heimgieh. âKerbmontag“ in der FrĂŒh zogen die âKerbborsche“ dorch die StroĂe, sie sangen mit rauhem Hals und hawe geblose und sammelten Geld in de GeschĂ€fte un bei de Leut un hawe sich dann uff de FrĂŒhschoppe gefreut. Da war was los in de WirtshĂ€user, ei-ei-ei, auch AuswĂ€rtige kamen in Massen herbei; beim âFischer“, âHofferberth“ in der âWolfschlucht“ und bei’m âDeckmann“ traf man viele KerbgĂ€st‘ bei Essen und Trinken an. FĂŒr Kinder natĂŒrlich der âKerbplatz“ die Hauptsach‘ war und ganz besonders das âKerbgeld“, klar. Am Harmonieplatz einige ZuckerstĂ€nd‘ warn, man ist Kinderkarussel und Schiffschaukel gefahr’n. Dienstagabend sind die Leut‘ wieder auf den Kerbplatz gerennt, denn dort wurde nun der âKerbborsch“ verbrennt; das bedeutet, die âKerb“ wird begraben nach altem Brauch, und beerdigt wurde der âBorsch“ dann auch; und nach alter Dietzenbacher Sitt‘ sangen die Leute das âKerblied“ mit. âEs welken alle BlĂ€tter“, so fing an das Lied âSie fallen alle ab uff die âKerb“ es weiter gieht; es hatte sechs Strophen, die Melodie war en de Reih, und danach war dann die âKerb“ vorbei. Quelle: Dietzenbach – Anno dazumal Hedi WeilmĂŒster
Im dreiĂigjĂ€hrigen Krieg wurde das Kirchenschiff unserer evangelischen Kirche schwer beschĂ€digt und seither nur notdĂŒrftig geflickt. AuĂerdem ist sie, fĂŒr die in den letzten Jahrzehnten, angewachsene Gemeinde viel zu klein geworden. In den Jahren 1753/54 erhĂ€lt unsere Kirche ein neues Kirchenschiff. Das Kirchenschiff wird mit dem, vorher separat stehenden Kirchturm, zu einer baulichen Einheit verbunden. Am 27. Oktober 1754 ist es dann vollbracht. Seitdem wird bei uns jedes Jahr an diesem Wochenende Kirchweih (Kerb) gefeiert. FĂ€llt der 28. Oktober auf einen Sonntag, wird an diesem Wochenende Kerb gefeiert. FĂ€llt der 28. Oktober auf einen Wochentag, dann ist die Kerb am darauf folgenden Wochenende. (Quelle der Datumsberechnung: Christuskirchengemeinde Dietzenbach) Bildquelle: 775 Jahre Dietzenbach Heimat- und Geschichtsbuch Gisela Rathert und Detlev Kindel Herausgeber: Magistrat der Stadt Dietzenbach