Die Kerb in Dietzenbach

Die Kerb in Dietzenbach

von Hedi WeilmĂŒnster

1925

Die Dietzenbacher „Frohsinn“ Kerbburschen 1925 vom „neuen Löwen“. Als BembeltrĂ€ger der Sohn des Löwenwirtes Heinrich Heberer (Fotoarchive WeilmĂŒnster)

Im alten Dietzenbach waren die Festlichkeiten, die das tĂ€gliche Einerlei des arbeitsreichen Jahreslaufes unterbrachen, Ă€ußerst gering.
Nur die „Kerb”, die im Dorf sozusagen als „höchster Feiertag” galt, wurde und wird heute noch nach alter Sitte und den damit verbundenen BrĂ€uchen von den Einwohnern drei Tage lang gefeiert. Mit dem Bau der Kirche wurde im Jahr 1753 in der Amtszeit von Pfarrer Preibisius begonnen. Die Einweihung der Kirche, also die Kirchweihe, fand unter großer Beteiligung der Dorfbewohner am 27. Oktober 1754 statt. Aus diesem Anlaß wird die Kirchweih, im Volksmund die „Kerb”‚ am letzten Wochenende im Oktober oder am ersten im November gefeiert.
Und wenn diese Kerbtage nahten, war das ganze Dorf in Aufruhr. Wochenlang vorher gings schon los mit dem „Kerbputz”. Das ganze Haus wurde auf den Kopf gestellt, denn viel Verwandtschaft hatte sich meistens zum Besuch angemeldet. Viel Arbeit mit dem Anfertigen der neuen „Kerbkleider” hatten die einheimischen Schneiderinnen. Und selbstverstĂ€ndlich mußte zur „Kerb” bei den Frauen auch „de Kopp en de Reih’ seu”. Die FriseurgeschĂ€fte hatten in der Kerbwoche Hochbetrieb, denn meistens gabs neue Dauerwellen.
Aber auch beim BĂ€cker und beim Metzger gings „rund”. Montags schon fĂŒhrten die Metzger unter großer Beteiligung der Dorfbewohner, hauptsĂ€chlich der Kinder, ihren zum Schlachten bestimmten „Kerbochs”, der mit einem Kranz geschmĂŒckt war, durch die Straßen. Die Leute mußten rechtzeitig ihre großen Bestellungen abgeben, die Ware wurde oft auch ins Haus gebracht.
Schwerstarbeit mußten auch die BĂ€cker leisten, denn viele Bleche voll „Kerbkouche” mußten gebacken werden. Als Dietzenbach nur 3000 Einwohner hatte, gab es immerhin etwa sieben BĂ€ckereien und alle hatten ihre Stammkunden. Also, es wurde zur Kerb freitagnachts „durchgebacken” und samstags fast noch den ganzen Tag. Vom Kerbkuchen wurde auch viel an die eingeladenen KerbgĂ€ste verschenkt. Am beliebtesten waren „Quetsche-‚ Riwwel- und KĂ€skouche”. Es wurde berichtet, daß einst ein scheinbar hungriger Gaul einen im Hof einer BĂ€ckerei abgestellten großen „Riwwelkouche” voll und ganz gefressen, danach freudig gewiehert habe und zufrieden in den Stall getrabt sei.
Der „Kerbplatz” befand sich frĂŒher mitten im Ort an der Alten Schule, spĂ€ter dann am Harmonieplatz. Es gab höchstens ein Kinderkarussell, eine Schießbude und einen Zuckerstand. SpĂ€ter war die Schiffschaukel sehr beliebt.

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Kerbgruppe der „Milchhöfer”‚ benannt nach dem gleichnamigen „Milchhof” in Dietzenbach. SpĂ€ter hieß der Verein „Turngesellschaft”. Der Wagen wurde Anfang der 30er Jahre gefahren von Hch. Gaubatz. (Fotoarchiv H. Balzer‚ Dietzenbach)

Groß herausgeputzt hatten sich die vielen GasthĂ€user. Das Dorf hatte „Annodazumal” sogar sieben SĂ€le, in denen der „Kerbtanz” stattfand. Die Hauptsache bei der ganzen Kerb waren aber die „Kerbborsche” (Kerbburschen). Wochen vor dem großen Ereignis trafen sich junge Burschen und probten die Kerblieder.
Mit einem Faß Bier wurde eine Woche vorher die Kerb in den jeweiligen GasthĂ€usern „angetrunken”. Den „Kerbkranz”, der vor den Vereinslokalen aufgehĂ€ngt wurde, mußten die Kerbburschen selber wickeln und zwar mit SellerieblĂ€ttern und bunten BĂ€ndern. So ein Kranz war manchmal fast ein Zentner schwer. Auch ein ausgestopfter „Kerbborsch” wurde hie und da aufgehĂ€ngt.
Sonntagmittags zogen die Kerbburschen mit Musik zum Kerbplatz. Eine „geheimnisvolle Maan” (Korb), gefĂŒllt mit frischer Ackererde wurde von zwei Buben getragen. Sie war mit einem weißen Tuch zugedeckt und hatte eine bestimmte Bewandtnis. Von Wirtschaft zu Wirtschaft wurde gezogen, die „Äbbelweu-Bembel” machten die Runde. Dann kam der große Moment der „Kerbredd” (Kerbrede). Auf einer großen Leiter hielt der dazu bestimmte Kerbborsch eine Ansprache in Reimen und zwar ĂŒber amĂŒsante Begebenheiten, die sich so in einem Jahr im Dorf ereignet hatten. Oft gab es auch darĂŒber Ärger, wenn er jemand allzu sehr „auf die Schipp” genommen hatte (gehĂ€nselt hatte).

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Kerbburschen um 1911 in Dietzenbach im Hof des „Löwen”. Kerbkranz aus SellerieblĂ€ttern geïŹ‚ochten, mit BĂ€ndern und Papierrosen verziert. (Fotoarchiv EIis. Lehr, Dietzenbach)

Nun begaben sich Musikanten, Kerbburschen und die versammelten Dorfbewohner in die GasthÀuser und TanzsÀle. Nur wer gekaufte TanzbÀndchen angesteckt hatte, durfte tanzen. Getanzt wurden anno dazumal am liebsten Walzer, RheinlÀnder und Schnicker.

So wurde auch noch ab montagnachmittag oft bis in den Dienstag hinein das Tanzbein geschwungen. Das traditionelle Essen in den Lokalen war Rippchen und Sauerkraut und HandkĂ€s mit „Musik”.

Kerbmontag in der FrĂŒh’ zogen die Kerbborsche dorch die Strooße
sie sangen mit rauhem Hals un hawwe gebloose
und sammelten Geld in de HÀuser und bei de GeschÀftsleut
unn hunn sich dann uff de FrĂŒhschobbe gefreut
dienstagabends iss werre alles uff de Kerbplatz gerennt
denn dort hott mer jetzt en Kerbborsch verbrennt
das hieß: die „Kerb” wurde begraben nach altem Brauch
und beerdigt wurde der Kerbborsch dann auch

Nach dieser Zeremonie, die „en Parre” (ein als Pfarrer verkleideter Kerbbursche) mit einer „Grabredd” abschloß, gings wieder in die Lokale zurĂŒck. Bei „Quelldene” (Pellkartoffel) mit Hering und viel Apfelwein klang in lustiger Gesellschaft die „DietzebĂ€cher Kerb” aus.


Quelle: “Landschaft Dreieich“ 1989